Roulette des Herzens
Mr. Craven einsam?« platzte Sara schließlich heraus. »Er ist doch dauernd von Menschen umgeben und kann die Gesellschaft jeder Frau genießen, nach der ihm der Sinn steht.«
Lily verzog das Gesicht. »Er vertraut niemandem. Nachdem er von seiner Mutter im Stich gelassen worden war und so lange im Elendsviertel lebte, hat er, wie ich befürchte, keine sehr gute Meinung mehr über die Menschen im allgemeinen und Frauen im besonderen.«
»Von Ihnen hat ei eine sehr hohe Meinung«, erwiderte Sara und dachte an das herrliche Porträt in seiner Privatsammlung.
»Wir sind seit langem befreundet«, gestand Lily, »aber nur das. Oh, ich weiß, was die Leute reden, doch unsere Beziehung ist rein platonischer Natur. Für Sie ist das vielleicht nicht von Bedeutung. Aber ich wollte, dass Sie die Wahrheit kennen.
Sara war ungemein erfreut über~ diese Neuigkeit und kämpfte, obwohl sie stets sorgsam auf die Wahrung ihrer Privatsphäre geachtet hatte, gegen den Wunsch an, sich dieser freundlichen Fremden anzuvertrauen. »Mr. Craven hat mir verboten, heute abend im Club zu sein«, sagte sie. »Er meinte, unter den Leuten aus der Halbwelt wäre ich nicht sicher. Dabei habe ich viele Bordelle und Spielhöllen im Elendsviertel besucht und bin nie zu Schaden gekommen.«
»Mr. Craven will Sie loswerden, Miss Fielding, weil er Sie als Bedrohung empfindet.«
Sara lachte ungläubig auf. »Mich? Als Bedrohung? Ich versichere Ihnen, ich bin noch nie von jemandem für eine Bedrohung gehalten worden.«
»Es gibt nur eine Sache, die er fürchtet«, erwiderte Lily. »Was~ seine Gefühle betrifft, ist er ein großer Feigling. Er hatte mit Dutzenden von Frauen Affären, doch sobald die Gefahr bestand, sich innerlich zu binden, hat er die betreffende Person verlassen und sich eine andere genommen. Nachdem ich ihn kennengelernt hatte, war ich der Ansicht, er sei nicht fähig, Liebe, Vertrauen und Zärtlichkeit zu empfinden. Jetzt weiß ich, dass er doch dazu imstande ist. Er hat diese Regungen seit der Kindheit nur tief in sich verschlossen. Ich denke, der Zeitpunkt naht, an dem er nicht mehr fähig sein wird, sie noch länger zu unterdrücken. Neuerdings ist er nicht mehr wie sonst. Ich habe festgestellt, dass die unsichtbare Mauer, die er um sich errichtet hat, Sprünge bekommt.«
Irritiert strich Sara den Rock glatt und starrte zu Boden. »Ich, bin nicht sicher, Lady Wolverton, was Sie von mir erwarten«, sagte sie offenherzig. »Ich liebe Mr. Kingswood und habe vor, ihn zu heiraten.«
»Sie würden Mr. Craven sehr helfen, wenn Sie ihm heute zeigen, dass er nicht so verdammt unbesiegbar ist, wie er denkt. Ich möchte, dass Sie oder eine andere Frau seine wunde Stelle finden. Das ist alles. Und dann kehren Sie zu Mr. Kingswood zurück, der, wie ich überzeugt bin, ein wunderbarer Mensch ist. Ich werde es auf mich nehmen, die richtige Frau für Mr. Craven zu finden.« Lily lachte. »Sie wird stark, weise und so duldsam sein müssen, dass sie eines Tages heiliggesprochen werden könnte.« Sie trat einen Schritt zurück, betrachtete Miss Fielding und sagte begeistert: »Das ist genau das richtige Kleid für Sie, meine Liebe.«
Kapitel 6
Sara saß in der Kutsche des Earl of Wolverton, trank aus einem Silberflakon, den Lady Wolverton ihr gereicht hatte, und starrte durch den winzigen, mit Quasten geschmückten Vorhang auf die Flut von Leuten, die langsam die zum Club führende Treppe hinaufstiegen. Die Frauen trugen elegante Kleider und mit Federn, Juwelen und Bändchen verzierte Masken. Ihre Begleiter waren in formeller Abendgarderobe und trugen einfache schwarze Masken, in denen sie wie Straßenräuber aussahen. Die Fenster des Gebäudes erstrahlten in hellem Licht, und Musik drang auf die Straße.
Lily beobachtete die Prozession, fuhr sich über die Lippen und genoss den Geschmack des guten Cognacs. »Wir warten noch einige Minuten. Es schickt sich nicht, zu früh einzutreffen.«
Sara zog den geborgten Mantel fester um sich und griff wieder nach dem Flakon. Der Cognac war stark, und der sie erwärmende Alkohol nahm ihr die Nervenanspannung und trug dazu bei, dass sie nicht mehr so stark mit den Zähnen klapperte.
»Mein Gatte fragt sich wahrscheinlich, wo ich bleibe«, bemerkte Lily.
»Was werden Sie ihm sagen?«
»Das weiß ich noch nicht. Es muss etwas sein, das der Wahrheit nahekommt.« Lily lachte fröhlich. »Er merkt immer, wenn ich lüge.«
Sara lächelte. Lady Wolverton machte es nicht nur Spaß, ungeheuerliche
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