Roulette des Herzens
Hosentaschen. Er äußerte sich offen in abfälligem Ton über Mr. Cravens Ambitionen. »Redet so geschwollen und tut, als sei er zum Gentleman geboren. Ist so schnieke und gelackt. Wirklich, er geht durch seinen piekfeinen Club, als hätte er einen goldenen Hintern.«
»Sie sind neidisch auf ihn«, warf Sara ein.
»Neidisch?« Angewidert verzog Ivo das Gesicht. »Ich bin nicht neidisch auf jemanden, der mit einem Fuß in Mayfair und dem anderen im East End steht. Die Pest soll ihn holen. Der blöde Kerl weiß nicht, wer er ist.«
»Sie glauben also, er solle nicht mit gesellschaftlich Höherstehenden verkehren? Das würde ich Snobismus nennen, Mr. Jenner.«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, erwiderte er verdrossen.
Oh, er war wirklich neidisch. Jetzt begriff Sara die bittere Rivalität zwischen den beiden Männern. Er stellte alles das dar, dem Mr. Craven zu entrinnen getrachtet hatte. Jedes Mal, wenn Mr. Craven ihn sah, musste er das Zerrbild seiner eigenen Vergangenheit erblicken. Und Mr. Jenner war sichtlich über die Axt verärgert, wie Mr. Craven sich von einem Gassenstreuner zu einem reichen und mächtigen Mann gemausert hatte.
»Wenn Ihnen Mr. Craven und seine Erfolge so gleichgültig sind, warum …« begann Sara, hielt jedoch inne, da die Kutsche abrupt stehenblieb. Der Mund blieb ihr offen stehen, weil sie scheußlichen Lärm vernahm – Rufe und Schreie, das Klirren von berstendem Glas, sogar Schüsse. »Was ist …?«
Mr. Jenner schob den Fenstervorhang beiseite und starrte auf den vor der Kutsche herrschenden Tumult. Er gab einen erschreckenden Laut von sich, der wie eine Mischung aus aufheulendem Gelächter und ermutigendem Aufschrei klang. Sara wich in die, Ecke der Kutsche zurück. »Ein Aufruhr!« rief er und machte die Tür auf, um sich mit dem teiggesichtigen Kutscher und dem Lakai zu beraten. »In wie vielen Straßen tobt der Mob?« erkundigte er sich. Sara hörte die Männer antworten und Mr. Jenner dann sagen:« Also nehmen Sie einen Umweg.«
Die Tür wurde geschlossen, und der Wagen fuhr an. Er bog scharf ab, und Sara schluckte vor Angst. Einige Steine flogen gegen die Seite des Fahrzeugs. Sara fuhr vor Schreck hoch. Der tobende Pöbel klang wie ein Chor von Dämonen. »Was ist los?«
Mr. Jenner blickte aus dem Fenster und grinste über das den Wagen umgebende Inferno. Seine Freude stieg von Minute zu Minute. »Ich liebe Aufstände, ja, wirklich. Zu meiner Zeit habe ich einige angeführt. Wir sind jetzt mitten in einem drin.«
»Warum wüten die Leute?«
Mr. Jenner hielt den Blick auf die Straße gerichtet. »Ist der Name ›Roter Jack‹ Ihnen vertraut?«
Sara nickte. Der »Rote Jack« war ein berüchtigter Straßenräuber, der seinen Beinamen bekommen hatte, weil er auf der belebten Straße von London nach Marlborough mindestens ein Dutzend Menschen umgebracht hatte. »Ich habe von ihm gehört. Er sitzt in Newgate und wartet auf seine Hinrichtung.«
Bellend lachte Ivo auf. »Nicht mehr. Hat sich gestern ausradiert, der Henkersschlinge entzogen. Kann nicht sagen, dass ich diesen schäumenden Kaffern die Randale übelnehme.«
»Sie meinen, sie sind aufgebracht, weil der ›Rote Jack‹ sich umgebracht hat? Warum sollten sie sich davon betroffen fühlen, wenn er tot ist?«
»Nun, eine Hinrichtung ist ein prima Spektakel. Selbst te Weiber und Kinder gehen dahin, um die Gehängten am Galgen baumeln zu sehen. Wäre ein tolles Schauspiel gewesen. Jetzt haben sie Blut geleckt. Sie wollen ihn heute Nacht ausgraben und ihm die Eingeweide herausreißen. Ich meine, man soll sie ein bisschen Spaß haben lassen,«
»Es soll ein Spaß sein, eine Leiche öffentlich zu verstümmeln?« Sara würgte bei der Vorstellung und starrte entsetzt Mr. Jenner an. Sie merkte jedoch, dass ihm ihr Ekel nicht auffiel. Kräftig ließ er den betrunkenen, plündernden, Fenster einwerfenden und Feuer legenden Mob hochleben. Mehrere harte Stöße brachten die Kutsche ins Schwanken. Ruckend hielt sie schließlich an. Mr. Jenner schob den Vorhang beiseite, und Sara sah Hände und Gesichter, die gegen die Scheibe gedrückt wurden. Die Leute stießen, schubsten und drohten die Kutsche umzustürzen.
»Der Kutscher ist weg«, sagte Ivo. »Habe mich schon gefragt, wie lange er aushalten würde.«
»O Gott!« Sara duckte sich in der Wagenecke und starrte Mr. Jenner aus weitaufgerissenen Augen an. »Man wird uns in Stücke reißen.«
»Keine Angst! Die beiden hier werden dafür sorgen, dass Sie in
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