Rütlischwur
hatte die Hälfte der Blätter verloren, die kleine Föhre ihre Nadeln … und der prächtige Oleander, den er einmal an Pfingsten vom Tessin bis nach Zürich gekarrt hatte, sah aus wie eine vergammelte Knecht-Ruprecht-Rute. Alles war verdorrt! – das Beet mit den Erdbeeren und Kräutern: eine zweite Wüste Gobi!
Eschenbach setzte sich auf die alte Teakholzliege, vergrub für eine Weile sein Gesicht in den Händen und dachte an Edith Ballmer. Hatte seine Nachbarin ihm am Vorabend einen Ablasshandel anbieten wollen, weil ihr Sohn (an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte) die Sache mit den Blumen verbockt hatte? Mit diesem absurden Gedanken im Kopf ging er wieder hinein und entdeckte die Pistole.
Er zuckte zusammen. Was zum Teufel machte die auf dem Küchentisch? Der Kommissar wollte sie gerade in die Hand nehmen, da bemerkte er, dass es nicht seine eigene war. Genau genommen handelte es sich überhaupt um keine der Waffen, die bei der Polizei im Einsatz waren. Weder um die alte SIG Sauer noch um die neue Heckler & Koch.
Der Kommissar ging zum Telefon. Eine halbe Minute später hatte er Salvisberg in der Leitung.
»Aus welcher Waffe wurde der Schuss abgegeben?«
»Wovon sprichst du überhaupt?«
»Der auf Banz, meine ich. Gestern … mit den Blutfontänen, die dann doch nicht gespritzt haben.«
»Warum fragst du nicht die Ballistik?«
»Weil du den Bericht kennst, Kurt … und bitte spiel jetzt nicht den Sturen.«
»Neun Millimeter, kurz.«
»Eine Walther PPK also«, folgerte Eschenbach.
»Könnte hinkommen. Warum ist das denn so wichtig?«
»Weil die jetzt bei mir in der Wohnung liegt.«
»Na dann: Prost Maxe!«
Als Nächstes telefonierte Eschenbach mit der Polizeizentrale, ließ sich von dort mit Walter von Matt, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Kriminaltechnik, verbinden und füllte gleichzeitig den Kolben der Espressomaschine mit Kaffeepulver.
»Itz lueg o da dr Äschebach!«, meldete sich der alte Berner Kämpe in seinem sonoren Dialekt.
Der Kommissar erklärte von Matt, was er gefunden hatte. »Ich glaube nicht, dass man mir die Waffe unterschieben will … So ist es nicht.«
»Sondern?«
»Es ist Billadiers Spiel«, sagte der Kommissar. »Er gibt mir seinen letzten Trumpf in die Hände, weil er genau weiß, dass ich ihn in seinem Sinn verwenden werde.«
»Und das heißt?«
»Komm vorbei, Walter. Es ist die Waffe, mit der Banz erschossen worden ist. Und ihr werdet darauf die Fingerabdrücke des Obersten finden, das garantier ich dir.«
»Vielleicht bin ich etwas langsam«, sagte von Matt. »Aber warum übergibt Billadier die Pistole nicht seinen Anwälten … zusammen mit dem Geständnis? Sie ist das wichtigste Beweisstück. Warum geht er das Risiko ein, dass sie vielleicht gar nie den Weg zum Untersuchungsrichter finden würde? Du weißt genauso wie ich, dass sein Geständnis ohne die Tatwaffe nur halb so viel wert ist. Vermutlich hätte es nicht einmal gereicht, Judith Bill definitiv zu entlasten. Es hätte so ausgesehen, als wollte er im Nachhinein geradestehen für etwas, das er überhaupt nicht begangen hat.«
»Das ist das Raffinierte daran«, sagte Eschenbach. »Er überlässt es mir.«
»Spinnst du?«
»Ich bin nicht erst seit heute Teil dieses Spiels, Walter. Mein Weggang bei der Polizei, die Stelle bei Duprey … es ist eine lange Geschichte. Aber jetzt mach dich auf die Socken und hol diese verdammte Knarre. Den Rest erzähl ich dir ein andermal.«
Eine knappe Stunde später läutete es an der Tür.
Eschenbach öffnete. Er hatte inzwischen geduscht, sich ein Paar Jeans und ein dunkles Hemd angezogen.
»Ich habe zwei Kollegen mitgebracht«, sagte von Matt. Der behäbige Berner schnaufte wie ein Nilpferd, als er die letzte Treppenstufe geschafft hatte. »Ich möchte das alles sauber aufnehmen hier … mit allem, was dazugehört. Zu deiner eigenen Entlastung, verstehst du?«
»Klar«, sagte der Kommissar und nickte. »Ich gehe jetzt frühstücken … oben ins Sprüngli.«
»Ich komme später auch noch … wenn wir hier fertig sind.«
»Okay«, sagte Eschenbach und überreichte von Matt den Schlüssel zur Wohnung.
Kapitel 32
So long – Dr. Watson!
D ie reichhaltige Auswahl an Tageszeitungen im ersten Stock der Confiserie Sprüngli hielt kein Exemplar bereit, das den Freitod Billadiers und dessen Geständnis im Mordfall Banz nicht zum Thema gemacht hatte. Meist doppelseitig, überladen mit symbolträchtigen Bildern, wurde das Leben und
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