Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
befanden wir uns unterhalb des Meeresspiegels. Ich folgte Lucien in ein Labyrinth von Gängen. Hier unten gab es jede Menge verschlossene Kammern. Vor einer blieb er stehen. Auf einen Wink hin öffnete sich die Tür.
Dahinter verbarg sich ein freundlicher Raum mit einem bequemen Bett aus edlem Eichenholz und dicker Daunenbettwäsche. Rechts von der Tür stand eine antike Frisierkommode mit einem großen Spiegel. Die Kerzenhalter an den Wänden waren kunstvoll geschmiedet.
„Eines meiner Gästezimmer. Ich werde Gillian anweisen, dir bis morgen ein Zimmer in der Burg nahe dem meinem herzurichten. Doch für heute wird diese Kammer wohl genügen.“
Er strich mir zärtlich das Haar zurück. „Die lange Reise hat dich erschöpft. Du brauchst Kraft für die Zeit, die vor dir liegt. Es gibt viel zu lernen,
elby
.“
Seine Stimme lullte mich ein. Meine Augenlider wurden schwer, als stünde ich kurz vorm Einschlafen. Willig ließ ich mich mit ihm auf das weiche Lager niedersinken, bettete meinen Kopf in seinen Schoß und empfing dankbar den heilenden, nährenden Strom aus seinem Handgelenk. Danach schlief ich den tiefsten Todesschlaf in meinem ganzen unsterblichen Leben.
In der folgenden Nacht wanderte ich noch einmal allein und ziellos durch die Straßen Miamis in dem Versuch, meine Gedanken und Empfindungen zu sortieren. War es wirklich mein Wunsch, mich in die Obhut des Lords zu begeben? Wäre ich nicht viel lieber sofort wieder zu Armand zurückgekehrt? Doch was erwartete mich dort? Ich war nicht so stark, wie Armand gedacht hatte. Nein, ich fühlte mich eher schwach, verängstigt, zerrissen. Die Sicherheit, die ich in den ersten Tagen nach meiner Wandlung empfunden hatte, war verschwunden.
Osira, mein Seelentier, gesellte sich zu mir. Eine graue Wölfin mit gelben Augen und einem zuweilen sehr losen Mundwerk. Aber sie ist auch meine innere Kraft und ich möchte sie nicht missen. „Das kommt, weil Armand nicht bei dir ist. Er gibt dir die Sicherheit, die du brauchst.“
„Und wenn es nicht so ist? Wenn Lucien recht hat und ich nur überleben kann, wenn er mir hilft? Sein Blut ist so viel mächtiger als Armands. Und ich habe solche Angst davor, zu sterben.“
„Ich mag ihn nicht. Du solltest wieder nach Hause gehen.“
„Das kann ich nicht“, gestand ich seufzend.
„Du kannst nicht, oder du willst nicht?“
Darauf wusste ich keine Antwort. Da war einfach dieses Gefühl. Dasselbe, das mich hierher gezogen hatte. Es sagte mir, dass ich bleiben musste. Dass Lucien der beste Lehrer war, den ich mir wünschen konnte, wenn ich die Ewigkeit überleben wollte. Trotzdem blieb ganz leise im verborgensten Winkel meiner Seele ein flüsternder Zweifel, ob es tatsächlich richtig war. Gegenüber Armand. Gegenüber Franklin. Gegenüber mir selbst.
„Ne te fait pas de soucis. Hadere nicht. Es ist schon in Ordnung, dass du zu ihm gegangen bist“, kam es aus den Tiefen eines Hauseingangs. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit, ein Wispern von Tuch, im nächsten Moment trat mein Liebster hervor, ganz in Schwarz und mit dem vertrauten, dunklen Umhang, um leichter mit den Schatten zu verschmelzen. Sein Blick war sanft, aber auch irgendwie traurig. Lächelnd streckte er eine Hand nach mir aus.
„Armand!“ Überglücklich warf ich mich ihm in die Arme, vergrub mein Gesicht in seinem weichen Haar. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr mir seine Nähe und sein Zuspruch fehlten. Wie dringend ich dessen bedurfte. Und wie töricht meine Reise zu Lucien gewesen war. Aber jetzt war er ja da. Mit ihm an meiner Seite konnte ich Luciens Lehren ertragen und meinen Weg finden. Das wusste ich.
Doch da schob mein Dunkler Vater mich mit einem traurigen Lächeln von sich und schüttelte den Kopf, als er meine Gedanken las.
„Ich kann nicht bleiben, ma chére. C’est impossible. Es ist unmöglich. Der Lord würde das nie akzeptieren. Er würde mich vernichten, wenn ich es wagte.“
Die Angst in meinen Augen und die Verzweiflung, ihn sofort wieder zu verlieren, rührten sein Herz. Zärtlich strich er mir übers Gesicht.
„N’a pas peur. Hab keine Angst. Du bist bei ihm in Sicherheit, das weiß ich. Es wird nicht leicht sein. Doch was er dir beibringen kann, wird dir helfen, die Ewigkeit zu meistern. Vertrau ihm, wenn du kannst. Und denk daran, ich bleibe in der Nähe. New Orleans ist nicht weit. Dort werde ich bleiben, solange du bei ihm bist. Aber ich kann nicht hierher kommen. Auch jetzt, in diesem Moment, duldet er meine Nähe
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