Ruhig Blut!
deinem gegenwärtigen Zustand kannst du nicht reiten!«
»Im Augenblick nicht«, gestand Oma, und ihre Stimme klang ein wenig
gedämpft. Sie wischte sich Stroh aus dem Gesicht und hob dann die
Hand, um sich hochziehen zu lassen. »Aber warte nur, bis ich meine
Füße wiederfinde…«
»Na schön! Na schön! Wie wär’s, wenn ich reite und du dich hinter mir festhältst? Bestimmt wiegst du nicht mehr als das Harmonium, und damit bin ich zurechtgekommen.«
Oma sah ihn an wie eine Eule. Sie schien betrunken zu sein und jenes
Stadium erreicht zu haben, in dem bis dahin unberücksichtigte Dinge als
gute Idee erschienen, zum Beispiel noch ein Glas. Schließlich schien sie
eine Entscheidung zu treffen.
»Oh, wenn du darauf bestehst…«
Himmelwärts fand einen Strick, und nach einer Weile gelang es ihm,
Oma auf dem Esel festzubinden. Seine Bemühungen nahmen deshalb
soviel Zeit in Anspruch, weil die alte Hexe mit unerschütterlicher Ent-
schlossenheit an dem Glauben festhielt, ihm einen Gefal en zu erweisen.
»Aber denk daran, daß ich dich nicht gebeten habe, mich zu begleiten«,
sagte Oma Wetterwachs. »Ich brauche dich nicht, verflaxt.«
»Verflaxt?«
»Verflixt, meine ich. Weiß gar nicht, wie mir da ein ›a‹ auf die Zunge
geraten konnte.«
Himmelwärts starrte eine Zeitlang ins Leere. Dann stieg er ab, zog
Oma vorsichtig vom Rücken des Maulesels, setzte sie ins Stroh und ü-
berhörte dabei ihre Proteste. Dann verschwand er in der Nacht und
kehrte kurze Zeit später mit der Axt aus der Schmiede zurück. Mit einem
weiteren Strick band er sie an sich fest und stieg wieder auf.
»Du lernst«, sagte Oma.
Sie hob den Arm, als sie den Stal verließen. Der Sanfte Falke kam so-
fort herbei und nahm auf ihrem Handgelenk Platz.
Die Luft in der wackelnden Kutsche nahm immer mehr Persönlichkeit
an.
Magrat schnüffelte. »Ich bin sicher, daß ich Esme vor nicht al zu langer Zeit neu gewickelt habe…«
Nach einer ergebnislosen Untersuchung des Babys sahen sie unter den
Sitzen nach. Greebo schlief dort, mit den Beinen nach oben.
»Ist das nicht typisch für ihn?« fragte Nanny. »Kann keine offene Tür
sehen, ohne hindurchzuschlüpfen, der liebe Kerl. Und er hält sich gern
in der Nähe seines Frauchens auf.«
»Könnten wir ein Fenster öffnen?« fragte Magrat.
»Dann regnet es rein.«
»Ja, aber dann verschwindet auch der Geruch.« Magrat seufzte. »Weißt
du, wir haben mindestens einen Beutel mit Spielzeug zurückgelassen.
Verence legte großen Wert auf die Mobiles.«
»Ich glaube noch immer, daß es zu früh ist, mit der Erziehung des ar-
men Würmchens zu beginnen«, sagte Nanny. Sie wol te Magrat weniger
auf etwas hinweisen, das sie für dumm hielt, als vielmehr von den ge-
genwärtigen Gefahren ablenken.
»Hat er dich während der Schwangerschaft aufgefordert, lehrreiche
Bücher zu lesen und dir beruhigende Musik anzuhören?« fragte Nanny,
als die Kutsche durch eine Pfütze rol te.
»Nun, mit den Büchern war soweit alles in Ordnung, aber das Piano
funktioniert nicht richtig, und ich hörte immer nur Shawns Trompeten-
solo.«
»Es ist nicht seine Schuld, daß niemand mitspielen will«, erwiderte
Nanny. Sie hielt sich fest, als die Kutsche noch etwas stärker wackelte.
»Ist ziemlich schnell, dieses Ding.«
»Ich wünschte, wir hätten nicht auch die Badewanne vergessen«, mein-
te Magrat. »Und wir haben den Beutel mit dem Spielzeugbauernhof zu-
rückgelassen. Und langsam werden die Windeln knapp…«
»Sehen wir uns das Kind mal an«, sagte Nanny.
Die kleine Esme wurde durch die schwankende Kutsche gereicht.
»Ja, sehen wir dich mal an…«, murmelte Nanny.
Der Blick kleiner blauer Augen richtete sich auf sie. Ein nachdenkli-
cher Ausdruck entstand in einem runden, rosaroten Gesicht – vermut-
lich fragte sich das Kind, ob eine Mahlzeit in Aussicht stand oder ob sie
Nanny als Toilette benutzen durfte.
»Das ist bemerkenswert«, sagte Nanny. »Ich meine, wie gut sie den
Blick fokussiert. Das ist sehr ungewöhnlich für ihr Alter.«
»Vielleicht ist sie weitaus älter, als wir glauben«, sagte Magrat finster.
»Pscht. Wenn Oma dort drin steckt, beschränkt sie sich auf eine passi-
ve Rol e. Sie mischt sich nicht ein. Außerdem wäre es nicht ihr Bewußtsein da drin. So funktioniert es nicht.«
»Wie dann?«
»Du hast sie mehrmals dabei beobachtet. Was glaubst du?«
»Ich glaube… der Vorgang betrifft alle Dinge, die Oma zu Oma ma-
chen«, sagte
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