Ruhig Blut!
sogar Ges-
talten am großen Feuer im Hof erkennen.
Etwas anderes weckte ihre Aufmerksamkeit, denn ihre Blicke glitten
jetzt überallhin, nur nicht zum Schloß, und sofort drängte sie ihre Grü-
beleien beiseite. Dunst kroch über die Berge und glitt im Mondschein
durch die fernen Täler. Eine Nebelschwade wuchs in die Länge, dehnte
sich aus in Richtung Schloß und strömte wie in Zeitlupe durch die Lanc-
re-Schlucht.
Im Frühjahr, wenn sich das Wetter änderte, war Nebel keine Selten-
heit. Doch in diesem Fall kam er von Überwald.
Die Zofe Millie Chillum öffnete die Tür von Magrats Zimmer, knickste
vor Agnes beziehungsweise vor ihrem Hut, und ließ sie dann mit der am
Frisiertisch sitzenden Königin allein.
Agnes wußte nicht genau, was das Protokoll von ihr verlangte, und sie
versuchte es mit einer Art republikanischem Knicks. Der verursachte
erhebliche Bewegung in peripheren Regionen.
Königin Magrat von Lancre putzte sich die Nase und stopfte das Ta-
schentuch dann in den Ärmel ihres Morgenrocks.
»Oh, hallo, Agnes«, sagte sie. »Setz dich, nur zu. Du brauchst nicht so
auf und ab zu hüpfen. Millie macht das andauernd, und davon werde ich
seekrank. Außerdem verneigen sich Hexen eigentlich nur.«
»Äh…«, begann Agnes. Sie blickte zur Wiege in der Ecke, die mit mehr
Schleifen und Spitze versehen war, als es bei einem Möbelstück der Fall
sein sollte.
»Sie schläft«, sagte Magrat. »Oh, die Krippe? Verence hat sie von
Ankh-Morpork kommen lassen. Meiner Ansicht nach war die alte gut
genug, aber er ist sehr, du weißt schon… modern. Bitte setz dich.«
»Du wol test mich sprechen. Euer Maje…«, begann Agnes und war
noch immer unsicher. Bestimmt stand ihr ein sehr komplizierter Abend
bevor, und sie wußte nicht einmal, wie sie in bezug auf Magrat empfand.
Die Frau hatte Echos von sich in der Hütte hinterlassen: einen alten
Armreif, unterm Bett vergessen; sentimentale Anmerkungen in uralten
Notizbüchern; Vasen mit vertrockneten Blumen. Man bekommt sehr
seltsame Vorstel ungen von Leuten, wenn man die Dinge findet, die sie
hinter der Garderobe zurücklassen.
»Ich wol te nur ein wenig plaudern«, sagte Magrat. »Es ist ein wenig…
Weißt du, ich bin wirklich zufrieden, aber… Nun, Millie ist nett, doch sie
gibt mir dauernd recht, und Nanny und Oma behandeln mich noch im-
mer so, als wäre ich gar nicht, du weißt schon, Königin und so… Was
natürlich nicht heißen sol , daß ich die ganze Zeit über wie eine Königin
behandelt werden will, aber sie sollen wissen, daß ich Königin bin, ohne mich wie eine zu behandeln, wenn du verstehst, was ich meine…«
»Ja, ich glaube, ich verstehe dich«, erwiderte Agnes vorsichtig.
Magrat gestikulierte vage in dem Versuch, das Unbeschreibliche zu be-
schreiben. Diverse benutzte Taschentücher rutschten aus ihren Ärmeln.
»Ich meine, mir wird schwindelig, wenn die Leute dauernd knicksen
und so. Wenn sie mich sehen, sol en sie einfach nur denken: ›Oh, das ist
Magrat, sie ist jetzt Königin, aber ich werde sie trotzdem ganz normal
behandeln…‹«
»Aber viel eicht mit ein wenig mehr Respekt, denn sie ist ja Königin«, spekulierte Agnes.
»Nun, äh… ja. Mit Nanny ist es eigentlich gar nicht so schlimm, denn
sie behandelt al e Leute gleich. Aber wenn mich Oma ansieht, so kann
ich sie denken sehen: ›Oh, das ist Magrat. Koch uns Tee, Magrat.‹ Ich
schwöre, daß ich mich eines Tages zu einer sehr scharfen Bemerkung hinreißen lassen werde. Sie scheinen zu glauben, dies sei eine Art Hobby für mich!«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Sie gehen vermutlich davon aus, daß ich irgendwann die Nase voll ha-
be und mich wieder den Hexendingen zuwende. Natürlich sagen sie das
nicht, aber bestimmt denken sie es. Sie können sich einfach nicht vorstel-
len, daß es auch ein anderes Leben gibt.«
»Das stimmt.«
»Was macht die alte Hütte?«
»Es gibt dort ziemlich viele Mäuse«, sagte Agnes.
»Ich weiß. Ich habe sie gefüttert. Aber sag Oma nichts davon. Sie ist
hier, nicht wahr?«
»Ich habe sie noch nicht gesehen.« sagte Agnes.
»Ah, zweifel os wartet sie auf den richtigen dramatischen Moment«,
meinte Magrat. »Und weißt du was? Bei all den Dingen, in die wir…
äh… gemeinsam verwickelt wurden, habe ich nie erlebt, daß sie auf ei-
nen dramatischen Augenblick gewartet hat. Ich meine, du und ich… Wir würden uns im Großen Saal in Geduld fassen. Aber Oma Wetterwachs… Sie kommt
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