Runenschwert
einmal schmerzte.
» Dann hast du sie also angelogen?«, fragte er. » Du wusstest, dass diese Dorfbewohner uns nichts zu essen geben können, aber du hast es unseren Männern trotzdem versprochen, damit sie kämpfen. Und die Sache mit Sighvat ist genauso, denn er hat ja gesagt, dass er auf jeden Fall sterben muss.«
Ich antwortete nicht, denn er hatte mich sehr wohl durchschaut. Ich schämte mich, wollte es ihn aber nicht merken lassen. Aber er nickte nur zufrieden, als habe er ein großes Geheimnis entdeckt, dann trabte er auf seinen dünnen Beinchen los.
Ich sah Hels Vogel an; er starrte mit hellen, unbewegten Augen zurück, schwarz wie der Abgrund, vor dem Bruder Johannes immer gewarnt hatte. Dann wandte ich den Blick ab und beeilte mich, die anderen einzuholen.
Das Dorf hatte etwas Befremdliches an sich, wie ein Steinkreis, in dem man sich vorsichtig bewegt und leise spricht. Hier gab es keine Vögel, keine Ziegen, Hunde, Katzen oder sonst ein Lebewesen, die Stille wurde nur vom Sirren der Insekten und dem leisen Plätschern eines Brunnens unterbrochen.
Am Rande des Dorfes stand eine Ansammlung weißer Häuser mit flachen Dächern unter Palmen, die wie Pfähle mit Federbüscheln aussahen, und als ich ankam, schlichen die Eingeschworenen schon vorsichtig von Haus zu Haus und spähten in die offenen Türen.
Nichts rührte sich, außer die Fliegen, die um Körbe und Töpfe, um die Blutspuren und die geöffneten Leichen summten und brummten. Und es gab viele geöffnete Leichen.
Ich ging zum Brunnen, der aus einem Auslaufrohr mit einem Wasserbecken darunter bestand, dort nahm ich meinen Helm ab und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Meine andere Hand lag auf dem weichen Moos, das auf dem Rand des Beckens wuchs. Auf dem Boden des Beckens hatte sich eine kreisrunde Vertiefung gebildet. Nachdenklich sah ich zu, wie ein Tropfen heranwuchs, der schließlich zitternd und mit einem kleinen Spritzer in die Vertiefung fiel, um sie weiter auszuhöhlen.
Seit einer Ewigkeit befand sich dieser Brunnen an diesem Platz; er hatte unzählige Menschen wie uns kommen und gehen sehen, wie Motten, die von einem Luftzug hergetrieben wurden und mit dem nächsten wieder verschwanden. Bei dem Gedanken wurde mir schwindelig, und ich musste mich für einen Moment am Beckenrand festhalten.
» Sieht schlimm aus, was sich hier abgespielt hat, Händler«, sagte Kvasir mit lauter Stimme. » Blut, ausgeplünderte Leichen, einige ausgeweidet. Sieh mal, hier.«
Er füllte seinen Helm mit Wasser, dann ging ich mit ihm zu einer Leiche, deren blinde Augen von einer Staubschicht überzogen waren. Aus einem Nasenloch kroch eine fette Fliege.
» Sieh dir das an. Geöffnet, und die Leber säuberlich rausgenommen.«
Er brauchte nicht mehr zu sagen. Eine rohe Leber war eine gute Mahlzeit, wenn man Hunger hatte und in Eile war; ich hatte selbst schon rohe Leber gegessen, noch warm von einem frisch erlegten Reh.
Mühsam zwang ich mich in die Realität zurück und sah in sein ratloses Gesicht.
» Die Kirche?«, brachte ich schließlich heraus.
» Finn sucht gerade danach. Du solltest deinen Kopf auch mal ins kalte Wasser stecken, Händler. Bevor du einen Hitzschlag bekommst.«
Ich überhörte die Bemerkung. » Wo sind Gardi und der Häuter?«, fragte ich.
Kvasir wusch sein Gesicht und blies das kalte Wasser aus dem Schnauzbart. Schulterzuckend sagte er: » Sie kundschaften die Gegend aus, vermute ich. Dazu sind sie ja da.«
Der Junge kam angerannt; er hielt sich die schmerzende Seite und berichtete, dass Finn die Kirche gefunden habe und ich sofort hinkommen solle. Ich ging.
Es war eine typisch römische Kirche, wie wir schon viele in Brand gesetzt hatten: feste Mauern, eine Kuppel, eine feste Tür, die weit offen stand, ein schmaler Eingang und ein Fußboden aus farbigen Steinen, von denen einige zertrümmert waren. Die Kirche war schon vor langer Zeit den Spinnen und Ratten überlassen worden, aber Finn sagte ernst, jetzt sei sie wieder bevölkert, und ich solle mir das ansehen.
Ich ging hinein, ich brauchte einen Moment um mich von der grellen Sonne auf die Dunkelheit umzustellen, von der Wärme auf die Kühle. Das Gebäude schien so leer wie das Innere einer Glocke, und meine Füße knirschten über die Scherben der Mosaiksteinchen, die einst zu einem Bild der heiligen Christensage gehört haben mochten.
Allmählich nahmen die Schatten Gestalt an. Es waren zwei Männer, der eine saß mit gekreuzten Beinen da und sah mich an, der
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