Ruth
Mutter Noëmi“, sagte sie und strich
sich mit dem Arm die kupferroten Haare aus der Stirn. „Machlon weiß, was er
tut.“
Orpa trat zu ihnen. Die
Unzufriedenheit war noch nicht aus ihrem Gesicht gewichen. „Warum knetet ihr
den Teig immer noch selbst?“ fragte sie. „Es gibt genug Sklaven, die euch diese
Arbeit abnehmen können.“
Ruth blickte auf und lächelte.
„In der Heimat unserer Männer gibt es eine Redensart, die besagt, daß der
Brotteig eines Mannes von der Frau, die er liebt, geknetet werden soll.“
„Ich liebe Kiljon“, sagte Orpa
leicht gekränkt und schaute hinüber zu ihrem Mann, der gerade einem Schmied
erklärte, wie die Biegung einer Sichel zu formen war. „Aber er will nicht, daß
ich Sklavenarbeit verrichte.“
Ruths Gesicht wurde ernst.
„Machlon ist in letzter Zeit so in Gedanken. Ich glaube, er bemerkt gar nicht,
was einer von uns tut.“
„Warum vergeudest du dann deine
Zeit damit?“ fragte Orpa. Ruth blickte liebevoll auf Noëmi. „Es ist nicht
allein um Machlons willen, daß wir den Teig gemeinsam kneten, Orpa“, erklärte
sie. „Noëmi und ich tun es gern, genauso wie du dich gern schön kleidest, um
Kiljon zu gefallen.“
„Solange meinem Mann gefällt,
was ich tue, sehe ich nichts Schlechtes darin, wenn ich hübsche Dinge haben
möchte.“ Orpa warf ihren Kopf zurück und ging hinüber zu Kiljon, der am
Schmiedefeuer stand. Er lächelte und legte seinen Arm um sie.
„Wie viele Jahre ist es her,
seit ihr nach Moab gekommen seid, Mutter Noëmi?“ fragte Ruth gedankenvoll. „Sie
vergehen so schnell, daß ich gar nicht mehr nachkommen kann.“
„Jahre sind ohne Bedeutung,
wenn man glücklich ist und geliebt wird“, antwortete Noëmi mit einem Lächeln.
Ein Schatten zog sekundenlang
über das Gesicht der jüngeren Frau. „Ich habe versucht, Machlon glücklich zu
machen“, sagte sie. „Aber manchmal frage ich mich, ob es ihm leichterfiele, für
Hedak Schwerter zu schmieden, wenn ich ihm ein Kind schenken könnte.“
„Machlon hat sich bereit
erklärt, Schwerter für Moab zu schmieden, weil wir in Betlehem hungerten“,
erwiderte Noëmi. „Er hat immer gewußt, daß sie eines Tages gegen Israel
verwendet werden könnten. Dieser Gedanke mußte ihn quälen, Ruth.“
„Aber es scheint schlimmer zu
werden anstatt besser.“ Sie blickte zur Sonne auf, die jetzt beinahe über ihnen
stand. „Die Audienz des Königs ist immer um die Mittagszeit zu Ende; wir sollten
bald von Machlon hören.“
„Hoffentlich ist auch Zebuschar
seiner Meinung, daß ein dauerhafter Frieden zwischen Israel und Moab möglich
ist“, sagte Noëmi. „Ich glaube, das ist das einzige, was Machlon wirklich
glücklich machen würde.“
„Ich wünschte trotzdem, ich
könnte ihm einen Sohn schenken“, sagte Ruth bekümmert. „Die Frauen meiner
Familie waren immer fruchtbar. Warum sollte gerade ich unfruchtbar sein?“
„Das Geschenk des Lebens kommt
nur von Gott, Ruth. Aber die Wege der Liebe sind verschieden.“
Ruth blickte überrascht auf.
„Was willst du damit sagen, Noëmi?“
„Manchmal lieben wir das
ungeborene Kind in dem Manne, den wir lieben. Das ist die eine Seite der
Liebe.“
„Und die andere?“ fragte Ruth.
„Die andere ist eine brennende
Flamme, in der sich die Liebenden verzehren.“
„Kann eine Frau nicht beides
erfahren?“ fragte Ruth fast flüsternd.
„Die Frau, der solche Gnade
zuteil wird, ist am meisten gesegnet“, sagte Noëmi leise. „Denn sie ist
unvorstellbar glücklich.“
„Aber ich liebe Machlon“,
beteuerte Ruth. „Und ich bin glücklich mit ihm. Sehr glücklich.“
„Dein Glück liegt im Dienst an
deinen Lieben, Ruth, wie das meine. Nicht umsonst nennen wir dich die
Standhafte.“
„Ich wäre es zufrieden, daß man
mich standhaft nennt, wenn nur Machlon wirklich glücklich wäre. Keine Frau kann
mehr verlangen als die Güte und Liebe, die Machlon mir zuteil werden läßt.“ Vom
Tor her, das sich zur Straße hin öffnete, hörten sie Rufe. Sie blickten auf und
sahen Machlon hereinkommen. Sein Gesicht strahlte. Ruth rannte ihm entgegen,
den Teig von ihren Händen an der Schürze abwischend. „Sind es gute
Neuigkeiten?“ rief sie. „Ist Zebuschar einverstanden?“
Bei Machlons Ankunft hatten
alle ihre Arbeit unterbrochen. Die Jahre waren zu ihm so freundlich gewesen wie
zu Ruth. Groß und schlank, mit den geschmeidigen Bewegungen des
Kunsthandwerkers und den tiefliegenden Augen eines Träumers, wirkte er
unverändert, und nur
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