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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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sich.
    Gabriel musste es riskieren.
    Am höchsten Punkt ließ er das Seil los und flog durch die Luft; doch beinahe sofort wusste er, dass es nicht reichen würde. Er spürte, wie die Schwerkraft ihn nach unten zog, als hätte er Wackersteine in der Tasche. Im letzten Moment klammerte er sich an die Kante, doch er begann abzurutschen. Mit dem halben Körper hing er in der Luft, unter sich hundert Meter freier Fall, und der Höhlenboden war nach Jahrtausenden der Benutzung spiegelglatt. Verzweifelt hielt er sich mit den Armen fest und suchte mit den Füßen nach Halt, doch da war nichts.
    Gabriel konzentrierte seine schwindende Kraft auf die zitternden Arme und zwang sie, ihn hinaufzuziehen. Zu guter Letzt bewegte er sich gar nicht mehr. Er wusste, wenn er weitermachte, würde er nur noch schneller abrutschen und zu Tode stürzen. Aber er musste etwas tun.
    Er spürte, wie er Millimeter für Millimeter abrutschte. In einem letzten verzweifelten Versuch warf er das rechte Bein so hoch er konnte, und tatsächlich schaffte er es bis zur Kante und fand Halt mit seiner Gummisohle. Mit jedem Zentimeter, den er sich mit dem Bein hinaufzog, spürte er, wie seine Arme an Kraft verloren. Nach der Anstrengung des Kletterns waren seine Finger einfach zu schwach. Gabriel hing seitwärts an der Kante und wusste, dass seine Arme vermutlich als Erstes nachgeben würden. Mit jeder Sekunde rutschten seine schweißnassen Hände ein wenig mehr ab. Nicht mehr lange, und er würde kopfüber den Berg hinunterstürzen.
    Dann packte ihn eine Hand am Jackett und begann, ihn hinaufzuziehen.
    Gabriel zog ebenfalls, passte sich dem Rhythmus seines Retters an, und nach fünf Zügen hatte er die Kante überwunden und lag dankbar auf dem Boden der Tributhöhle. Dort blieb er erst einmal einen Moment liegen und genoss es, noch am Leben zu sein. Der harte, kalte Boden fühlte sich einfach wunderbar an. Dann schaute er zu dem Mann hinauf, der ihn gerettet hatte.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte Athanasius. »Man darf uns hier nicht finden.« Er reichte Gabriel eine Soutane. »Ziehen Sie das an; dann fallen Sie im Berg nicht auf.«
    Gabriel rappelte sich auf. Seine Muskeln schmerzten, und es kostete ihn einige Mühe, sich die Soutane über die eigenen Kleider zu streifen. Sie würden seine Muskeln warm halten, und das war gut, denn schon bald würde er wieder aus dem Berg fliehen müssen. Er streckte die Hand aus.
    »Gabriel«, sagte er. »Danke, dass Sie mir schon wieder das Leben gerettet haben.«
    Der kahle Mönch schaute ein wenig verlegen drein. »Athanasius«, erwiderte er und schüttelte die ihm angebotene Hand, »oder Bruder Peacock, wenn Ihnen das lieber ist. In Ihrer Nachricht stand etwas von einer Karte.«
    Gabriel holte ein Stück Papier aus seiner Tasche und hielt es dem Mönch hin. Es war eine Kopie der Karte, die Oscar in sein Tagebuch gezeichnet hatte. Athanasius nahm sie und fuhr die Tunnel mit den Fingern entlang, bis er die Stelle mit dem Kreuz und dem Schädel erreichte.
    »Das ist das Beinhaus«, sagte er. »Was auch immer Sie suchen, liegt unter der Kathedralengrotte vergraben, zusammen mit den heiligen Knochen der Prälaten.« Er nahm eine Öllampe aus einer Nische an der Wand. »Ziehen Sie die Kapuze über; bleiben Sie ein Stück hinter mir, und verstecken Sie sich, wenn mich jemand anspricht. Um diese Uhrzeit sollte niemand mehr im Berg herumlaufen. Lassen Sie uns einfach hoffen, dass sich alle anderen gewissenhafter an diese Regel halten als ich.«
    Dann drehte er sich um, verließ die Tributhöhle und stieg in die dunklen Tiefen des Berges hinab.

77
    Gabriel folgte dem Licht der Öllampe, das vor ihm in der Dunkelheit auf und ab hüpfte. Es bewegte sich durch Tunnel und erhellte Türen und Kabel, die wie Adern an den Wänden hingen. Ungefähr alle zehn Schritte war eine Lampe an den Wänden zu sehen, doch keine davon brannte. Gabriel fragte sich, ob das an dem Erdbeben lag oder ob man nur Strom sparen wollte. Die Vorstellung verwirrte und beunruhigte ihn irgendwie. Er hatte die Zitadelle und ihre Bewohner schon so lange dämonisiert, dass ihm diese trivialen Details irgendwie surreal erschienen. Er ermahnte sich selbst, dass er in Feindesland war und das aus einem ganz bestimmten Grund. Gabriel steckte die Hand in die Tasche, spürte das beruhigende Gewicht der Pistole und hielt seinen Blick auf das Licht gut zehn Schritte vor ihm gerichtet. Er war voll und ganz auf seine Mission konzentriert.
    Manchmal verschwand das

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