Säule Der Welten: Roman
verkaufen Folterer?«
»Das ist eine der Qualifikationen, die sie exportieren, richtig. In Spyre will kaum noch jemand mit ihnen zu tun haben - sie sind zu gefährlich. Ständig inszenieren
sie Staatsstreiche und versuchen, den Rat zu dominieren. Die Konservationisten lecken sich nach ihrem Zusammenstoß mit Sacrus noch immer die Wunden. Hast du einen von denen in Liris kennengelernt?« Sie nickte.
Diamandis seufzte. »Noch ein Grund mehr für dich, das Weite zu suchen. Wenn du dort einmal auf der schwarzen Liste stehst, bist du nie wieder sicher. Komm, ich helfe dir beim Einsteigen.«
»Warte.« Sie starrte die schwarze Öffnung in dem Metallding unverwandt an. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Das kann nicht gutgehen. Sie konnte nicht nach Slipstream zurückkehren und so tun, als wären Dinge, die geschehen waren, auf einmal nicht mehr geschehen. Sie konnte sich als die geächtete Frau eines in Ungnade gefallenen Admirals nicht einfach ins stille Kämmerchen zurückziehen. Nicht wenn der Mann, der für Chaisons Tod verantwortlich war - der Pilot von Slipstream -, immer noch wie eine Spinne im Zentrum von allem saß, was in Slipstream vorging.
Solche Überlegungen fachten ihre Wut an, als fahre ein Funken in trockenen Zunder. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Unterkiefer, und sie schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging über den Laufsteg zurück.
Diamandis eilte ihr nach: »Was hast du vor?«
Venera blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Sie würde Hilfe brauchen. Um Chaison zu rächen, musste sie Macht gewinnen. »Du sagtest gestern etwas von einer vierten Alternative, Garth.« Sie lief die klirrenden Stufen hinunter und auf die Tür zu.
»Ich möchte Genaueres darüber wissen.«
Du musst dafür bereit sein, hatte Garth gesagt. An einem Ort wie diesem warst du noch nie, nicht einmal in deiner Fantasie. Als sie gegen Morgen den Teil von Spyre erreichten, der als »Luftkatarakt« bezeichnet wurde, verstand sie allmählich, was er damit meinte.
Die großen Anwesen blieben hinter ihnen zurück, während sie Diamandis’ geheimen Pfaden folgten; diesen Abschnitt des großen Rades mieden sogar die Konservationisten. Die Landschaft war übersät mit Ruinen, und seltsame Bäume lagen fast wie unterwürfige Bittsteller am Boden hingestreckt.
Ständig wurde der Untergrund von Wellenschauern erschüttert. Das Zittern erinnerte Venera bei jedem Schritt daran, dass sie auf dünnem Metallblech über einem Abgrund aus Luft stand. Sie sah die ersten Flecken Renn-Efeu auf abgebrochenen Simsen und zerfallenen Mauern. Und die lose Erde wurde immer dünner, bis sie schließlich nur noch das Metall des Rades unter den Füßen spürten.
Venera hatte den Wind im Rücken; sie musste ihre Füße ganz bewusst in den groben Sand bohren, um nicht einfach loszurennen. Diamandis beteuerte ihr, es sei tödlich, diesem Drang nachzugeben. Warum das so war, wurde nur allmählich, aber dafür umso erschreckender an den eingestürzten Mauern und den verwilderten Gärten einstmals prächtiger Besitzungen deutlich.
Sie klopfte Diamandis auf die Schulter und streckte die Hand aus. »Wann war das?«
Er nickte und beugte sich so dicht zu ihr, dass sie ihn trotz des Lärms hören konnte. »Die Frage ist wichtig für unser Vorhaben. Es geschah vor vielen Generationen, in einer Zeit, als in den Prinzipalitäten große Unruhe
herrschte. Damals gingen Spyres große Nationen noch auf Reisen - erst später verschanzten sie sich in ihren Festungen.«
Hinter den letzten Trümmern folgte auf etwa hundert Meter eine glatte Bahn, dann erschienen die ersten Risse und Löcher. Lange vibrierende Metallzungen ragten entlang der Stahlträger unter Spyres Innenhaut nach vorne. Bald verschwanden auch sie, und lediglich blanke Metallfragmente und die Träger selbst erstreckten sich über den Abgrund. Über die nächsten anderthalb Kilometer hatten sie nur noch ein Gitterwerk unter den Füßen.
Unter den Trägern schossen in schwindelerregendem Tempo schwarze Wolken vorbei. Angetrieben von Spyres Zentrifugalkraft rauschte unaufhörlich ein Hurrikan durch die leeren Fenster der Ruinen herein, wurde nach unten gerissen und schoss durch ein riesiges Loch in der Welt wieder hinaus.
»Das ist der Luftkatarakt!« Diamandis schwenkte dramatisch den Arm; aber das war gar nicht nötig. Venera war von der rohen Gewalt des Sturms, der um sie herum tobte, wie gelähmt. Sie wagte nicht, einen Fuß zu heben oder sich aufzurichten, um nicht davon
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