Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
dafür bezahlt, dass wir Anfragen aus der Öffentlichkeit beantworten«, sagte der Mann bescheiden.
Munárriz musste unbedingt seine Gedanken ordnen. Er setzte sich auf einen Poller am Anleger der kleinen Hafenbarkassen und ließ sich die salzige, feuchte Meeresbrise über das Gesicht streichen. Es tat ihm gut. Er hielt den Blick auf das Wasser gerichtet, im Bewusstsein dessen, dass dort die Lösung für die vielen Fragen lag, die sich in seinem Kopf drängten.
Er notierte alles, was ihm der Angestellte der Hafenbehörde mitgeteilt hatte, und ging erneut seine Notizen durch. Er begriff, dass es ihm nur wenig nützen würde, die Nationalität der Besatzungsmitglieder zu kennen. Niemand konnte wissen, ob der Tote am Strand von Bogatell zur Besatzung eines dieser Schiffe gehört hatte. Wenn der Mann zum Beispiel ein blinder Passagier war, den man entdeckt, erschossen und ins Wasser geworfen hatte? Ebenso war es aber auch möglich, dass man ihn in irgendeiner Hafenspelunke von Barcelona umgebracht und auf hoher See ins Wasser geworfen hatte, um sich seiner zu entledigen, ohne Spuren zu hinterlassen. Dann kam ihm die Erleuchtung: Er musste feststellen, von welchem Schiff der Mann ins Wasser geworfen worden war.
Er stellte seinen Peugeot an der Plaza de la Barceloneta ab, ganz in der Nähe der Kirche San Miguel del Puerto. Der Stadtteil Barceloneta hatte sich im Laufe der Zeit in ein Ghetto verwandelt, in dem mittellose Angehörige der verschiedensten Nationen in menschenunwürdigen Unterkünften hausten. Er machte sich auf den Weg zur Calle Sant Carles und blieb dort vor dem Haus mit der Nummer 6 stehen. Es war ein altes zweistöckiges Gebäude mit Bogenfenstern und Volutenschmuck, das auf wunderbare Weise dem Zugriff der Baulöwen und Immobilienhaie entgangen war. Schon bald nachdem er den Türklopfer betätigt hatte, öffnete Pau Escofet und rief überrascht aus: »Na so was! Mit dir hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.«
»Du weißt ja, dass ich mich nie vorher anmelde«, erklärte Munárriz, während er ihn umarmte. »Wie geht es dir?«
»Ziemlich schlecht wegen meiner Kniearthrose«, knurrte Escofet übellaunig, »aber ich mach trotzdem immer noch bei den Dominomeisterschaften der Senioren mit.« Er fasste ihn an der Schulter. »Komm rein … Fühl dich wie zu Hause.«
Pau Escofet, alter Seebär mit Leib und Seele, hatte seinen Lebensunterhalt als Schiffsführer eines Fischkutters verdient, der mit fünf Mann Besatzung vor der katalanischen Küste auf Sardinen-, Seehecht-, Goldbrassen- und Seebarschfang gegangen war, als Barcelona noch eine Fischereiflotte besaß und im Hafenbecken Miesmuscheln gezüchtet wurden.
Er hatte seinen Beruf unter den widrigsten Bedingungen ausgeübt, und seine gründliche Kenntnis aller Ankerplätze, Untiefen, Sandbänke, Klippen, Riffe, Strömungen und Winde hatten es ihm ermöglicht, seinen Kutter, die Neptun , auch aus schwierigsten Situationen heil hinauszumanövrieren. Nur wenige kannten jenen Teil der Mittelmeerküste so gut wie dieser alte Junggeselle, der seit dem Tag seiner Geburt im väterlichen Haus lebte, inzwischen allein, nur umgeben von Schiffsmodellen, die er in seinen Mußestunden mit großer Geduld anfertigte, sowie von Strandgut aller Art und den Navigationsinstrumenten, die er beim Abwracken seiner Neptun vor dem Schrottplatz gerettet hatte.
»Einen Cremat ?«, erkundigte er sich.
»Da kann ich nicht nein sagen. Du machst den besten cremat auf der Welt.«
»Hier nebenan«, Escofet wies mit dem Hals der Rumflasche auf die Wand, »wohnt ein Galizier, der ein feines Händchen für die queimada hat, du weißt schon, das Gemisch aus Tresterschnaps, Zitronenschalen und Kaffeebohnen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, ist mir ein guter cremat allemal lieber …«
Vor dem Ofen, in dem Holz brannte, das einen leichten Harzgeruch ausströmte, nahmen sie Platz in zwei Drehsesseln mit gepolsterten Armlehnen, die von der Kommandobrücke eines außer Dienst gestellten Minenräumboots der spanischen Marine stammten.
»Hast du immer noch vor, ans Meer zu ziehen?«, erkundigte sich Escofet.
»Mein Vater hat sein Leben auf einem Thunfischfänger zugebracht«, sagte Munárriz mit sehnsüchtigem Klang in der Stimme, »und ich möchte den Rest meiner Tage in Elanchove am Ruder eines kleinen Fischerbootes verbringen. Ich verlang nicht viel vom Leben.«
»Du hast das Meer im Blut«, gab Escofet zurück, »dagegen ist man machtlos. Du kannst dir nicht vorstellen, wie
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