SALVA (Sturmflut) (German Edition)
nur knapp und
mit sehr viel Glück, dem Tod entkommen waren. Ich starrte sie fassungslos an während mein Arm vor Schmerz
pulsierte. „Es ist nur ein Streifschuss. Das wird schon wieder.“ Sie sah mich
an und ihre Augen wurden groß. Ich brauchte einem Moment, um zu erkennen, dass
ich sie voller Misstrauen ansah. Ich versuchte meinem Blick zu entspannen und
nickte ihr kurz zu. Mir fehlten einfach die Worte. „Ich bin Ärztin. Das heißt,
ich war Ärztin, bevor ich hier gelandet bin.“ Diese Information
entspannte und verwunderte mich zur gleichen Zeit. Wenn sie Ärztin war, wusste
sie sicher auch, was bei Veits Verletzung zu tun war, aber wieso war eine
Ärztin überhaupt hier? Hatte sie jemand Wichtiges sterben lassen? Oder bewusst
umgebracht? „Mein Name ist übrigens Gry Nelsson. Ich habe heimlich versucht,
eine Therapie gegen die Medikation zu entwickeln.“ Das klang logisch. In den
Augen der Regierung war sie damit wohl sogar diejenige von uns, die es am
meisten verdient hatte hier zu sein. Sie wollte die Regierung ihrer so
kostbaren Kontrolle berauben.
„Ludmilla Kovasana. Hab ein paar
wichtigen Leuten ans Bein gepisst. Womit genau kann ich nicht sagen. Danach
habe ich versucht aus Europa zu fliehen.“ Diese Antwort schien mir eine
Verbesserung zu der, die ich Veit gegeben hatte. Es ließ jede meiner Handlungen
als Ursache offen und mindestens drei Menschen wollten mich definitiv lieber
tot als lebendig sehen.
„Das klingt passend.“ Grys Mundwinkel
wanderten nach oben und es machte ihr besonderes Gesicht gleich noch schöner.
Sie hatte etwas Anmutiges und Gläsernes.
„Wie meinst du das?“ Während ich mit
ihr sprach, sah ich mich in der Umgebung um. Ich wollte ganz sicher sein, dass
uns niemand gefolgt war oder gerade auf uns zielte. Mittlerweile war ich
dauerhaft alarmiert. In dieser Stadt lauerte überall der Tod. Es gab keinen
einzigen Moment der Entspannung mehr. Es galt, ständig auf der Hut zu sein, vor
allem in diesem Stadtteil.
„Naja, du hast mir da drin eben das
Leben gerettet. Das war ziemlich mutig und noch dazu, schienst du genau zu
wissen, was du tust. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt.“ Ich zog die Augenbrauen
hoch, als mir klar wurde, dass es ihr nicht anders ging als mir. Vor einigen
Stunden war ich diejenige, die beeindruckt von Veits Fähigkeiten war. Nur hätte
ich niemals gedacht, selbst einmal in dieser Position zu sein und das schon so
bald. Ich konnte mich jetzt kaum daran erinnern, was in dieser Fleischerei
abgelaufen war. Ein Teil von mir hatte die Kontrolle übernommen, der nur auf
das Überleben eingestellt war und ich erkannte mich in diesem Teil jetzt kein
bisschen wieder. Ich war noch die gleich Milla, die Verbündete brauchte, um von
hier zu entkommen und verzweifelt hoffte, Aljoscha zu finden, damit er ihr
erneut das Leben retten würde. Ich bekam Kopfschmerzen, bei dem Versuch, zu
begreifen, was dieser Ort aus mir machte. Nicht, dass es auch nur die kleinste
Chance gab, es wirklich herauszufinden. Es war einfach alles zu viel für mich.
Grys schwerer Atem brachte mich dazu, sie wieder anzusehen. Sie machte keinen
sehr fitten Eindruck mehr. Jetzt, nachdem sich ihr Körper wieder langsam entspannte,
spürte sie wohl die Entzugserscheinungen der Medikation, genauso wie Veit. Ich
griff nach meinem Rucksack und begann darin nach der Infusion zu suchen.
„Glaub mir, das war alles nur Glück.
Ich war mir zu keiner Sekunde sicher, dass wir da raus kommen würden.“ Meine
Stimme klang leise und schwach und so fühlte ich mich tatsächlich auch. Nachdem
die Anspannung langsam weniger wurde, konnte ich wieder fühlen, dass mein
Körper immer mehr an sein Limit gelangte. Gry warf mir einen mitfühlenden Blick
zu und sah dann zu der Infusion.
„Du hast Medikation? ...Fantastisch...
Ich habe mich schon gefragt, wie ich dir beibringen soll, dass ich langsam
alles doppelt sehe...“ Ich lächelte schwach. Gry musste wirklich eine gute
Ärztin sein. Ihr Wille mich nicht zu beunruhigen und ihr Durchhaltevermögen in
Stresssituationen waren für mich bereits jetzt bewundernswert, auch wenn ich
sie gerade erst kennengelernt hatte. Mit einer schnellen Bewegung setzte ich
ihr die Infusion. Ich fragte erst gar nicht, wie lang die letzte her war. Sie
würde besser als irgendjemand anders wissen, wenn es zu früh wäre. Sie holte
einmal tief Luft und ich konnte sehen,
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