Sanctum
wurde es lauter.
»Weg, im Namen des Königs«, schrie Jean und hoffte, dass der Befehl Eindruck machte. »Aus dem Weg!« Er stürmte ebenso ins Becken, das eiskalte Wasser bremste ihn, die Stiefel füllten sich und Spritzer gerieten in seine Augen; er fiel noch weiter zurück. Debora und Rebekka dagegen kamen sehr gut voran und schwangen sich eine Brunnenebene nach der anderen hinauf.
Der Rumäne befand sich auf Neptuns Oberkörper, kletterte auf die Schulter und katapultierte sich mit einem gewaltigen Satz auf den Vorsprung einer Säule. Von dort setzte er seinen Weg nach oben fort.
Roscolio, ohne Mantel und Hut, rannte an Jean vorbei und sprang die verschiedenen Stufen nach oben, als bedeutete dies keinerlei Anstrengung. Er überholte die Seraphim, stand gleich darauf auf Neptuns Kopf, stieß sich ab und bekam den Fuß des Flüchtenden zu fassen, der sich eben auf das breite Sims ziehen wollte.
Schreiend rutschte der Rumäne ab und fiel. Roscolio hielt den Stiefel fest, landete mit katzengleicher Sicherheit auf dem Steinkopf und wollte den Mann halten – da glitt der Fuß aus dem Schuh, der in Roscolios Hand zurückblieb.
Der Rumäne stürzte weiter, prallte rücklings gegen den gesenkten, ausgestreckten steinernen Arm Neptuns. Das laute Knirschen des Rückgrats, das abrupte Ende des Geschreis und das Blut an der Hand des Meeresgottes zeigten, dass die Statue den Mann getötet hatte; leblos fiel er in das zweite Becken, Blut breitete sich aus und färbte das Wasser rot.
Jean blickte zu Roscolio, der auf Neptuns Kopf stand und auf den dümpelnden Leichnam schaute. »Ich konnte nicht wissen, dass seine Stiefel schlecht sitzen«, meinte er mehr ärgerlich als betroffen und sprang ins große Sammelbecken, das Wasser spritzte hoch und weit. »Weg von hier.«
Judith und Rebekka stiegen ebenfalls vom Brunnen herunter, sie trennten sich und begaben sich auf Jeans Geheiß auf verschiedenen Wegen zurück zu ihrem Zuhause.
Jean und Roscolio eilten in die nächste Gasse. Jean machte sich große Sorgen um Debora, die er dem Mann auf der Treppe nachgesandt hatte. »Seid Ihr in der Lage, eine Seraph aufzuspüren?«
»Die Gerüche von Frauen vergesse ich nie«, gab Roscolio zurück, dem die halblangen Haare feucht ins Gesicht hingen. Trotz der Geschwindigkeit, die Jean schwer atmen ließ, lief er neben ihm her, als unternähmen sie einen einfachen Spaziergang. »Die kleine Sarai?«
Jeans Kopfwunde klopfte durch das Rennen schmerzhaft, die Nachwirkungen des Streifschusses. »Nein, Debora, die andere mit den schwarzen Haaren«, keuchte er. »Ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.«
»Hier entlang.« Abrupt schwenkte Roscolio in die nächste kleinere Gasse und beschleunigte. Jean wusste, dass er ein guter Läufer war, doch er wirkte im Vergleich zu dem eleganten Mann wie ein kurzatmiger Trampel. Es besaß wirklich Vorteile, die Bestie in sich zu tragen, die körperliche Überlegenheit war erschreckend.
Jean dachte wieder an seine Furcht, mit dem Keim der Bestie infiziert zu sein. Sein Schnaufen und Hecheln zerstreute diesen Verdacht recht zuverlässig; er müsste sich sonst mindestens auf gleicher Höhe mit Roscolio befinden.
Sie gelangten durch einen weiteren Durchgang in einen verwinkelten Hinterhof, in den die Sonne niemals scheinen würde, dafür befanden sich die Dächer zu eng beieinander. Niemand ließ sich blicken, vereinzelt drangen Stimmen aus den Fenstern über ihnen; die drei Türen, die aus den Häusern in den Hof mündeten, waren geschlossen.
»Hier?«, presste Jean atemlos hervor und hielt sich die stechende linke Seite. Roscolio sog die Luft ein und strich sich über den Schnurrbart.
»Ja«, antwortete er bedächtig. Sein Blick verklärte sich, die grüngelben Augen lagen auf dem Jäger. Er umkreiste ihn und schob sich vor den Durchgang. »Ja, wir sind richtig.«
»Zurück!« Jean verstand plötzlich die Absicht des anderen. Er zog seine zweite, noch geladene Pistole und zielte auf den Kopf des Mannes. »Bin ich Euch in meiner Dummheit in die Falle gegangen, so werdet Ihr mich dennoch nicht kampflos bekommen.«
Aus Roscolios Kehle erklang ein dunkles, anhaltendes Schnurren. »Das traut Ihr mir zu, Monsieur? Wo wir doch geschworen haben, uns vorerst nichts zu tun?«
»Ihr seid ein Wandelwesen, man kann Euch nicht trauen, wie ich sehe.« Vorsichtshalber nahm er auch den Dolch aus der Scheide.
»Ihr seid sehr voreingenommen, Monsieur.« Die leuchtenden Raubtieraugen zogen sich zusammen. »Da
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