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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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sie, ihre Gesichter waren nicht mehr als eine Fingerlänge voneinander entfernt.
    Das rote Leuchten flackerte und erlosch. Die Augen wurden die eines Menschen. Mit widerlich knackenden Geräuschen verwandelte sich die Kreatur in einen Mann zurück.
    »Nein«, flüsterte Gregoria fassungslos und streckte die Hand nach dem Gesicht aus, das mehr und mehr Jeans geliebte Züge annahm. Sie strich die langen weißen Haare zur Seite, die ihm wirr in die Augen fielen. »Heilige Mutter Gottes, erbarme dich seiner.«
    Seine Lieder flatterten, als würde er aus tiefer Ohnmacht erwachen. Dann sah er sie an. »Gregoria«, sagte Jean schwach und lächelte. »Endlich.« Der Kopf sackte zur Seite.
    »Nein, nein, nein!«, rief sie entsetzt, erhob sich auf die Knie und bettete sein Haupt auf ihren Schoß. »Jean, bleib wach. Wir werden einen Weg finden, dich von der Bestie …«
    »Das Sanctum«, flüsterte er kaum wahrnehmbar, »das ich genommen habe, wirkte nicht.« Er schluckte. »Warum?«
    »Ich weiß es nicht, Jean.« Sie brachte ihr Ohr dicht an seinen Mund. Auf ihren Knien wurde es feucht und warm, das sterbende Herz pumpte sein Blut aus dem tiefen Stich und tränkte ihren Rock. »Ich weiß es nicht«, weinte sie, ihre Tränen perlten auf seine Wangen. »Verzeih mir, dass ich …«
    »Es ist gut. Du hast dem Gevaudan eine Bestie erspart. Lieber sterbe ich, als mein Leben so zu verbringen. Aber …« Er verstummte, sein Körper verkrampfte sich. »Ich … habe den Jungen nicht finden können. Die Hunde hatten ihn nicht mehr«, presste er heraus. Er tastete nach Gregorias Hand, seine Augen suchten ihren Blick. »Es hat nicht sein sollen, Gregoria. Du und ich …« Er verstummte.
    Sie schluckte. Es würde keinen späteren Zeitpunkt mehr geben, um ihm das Geständnis zu machen. »Ich werde unsere Tochter immer so lieben, wie ich dich geliebt habe, Jean.«
    Er entspannte sich, lächelte einen Moment lang glücklich, eine Träne sprang über den linken Augenrand – und seine Pupillen brachen.
    Sanft schloss Gregoria ihm die Lider, küsste ihn lange auf den Mund und zog ihn dichter an sich.

XXVII.
KAPITEL

    Frankreich, Saugues, 4. Dezember 2004, 03.15 Uhr
    Eric hatte mit Höllenqualen gerechnet. Einem unendlichen Schwarz, in dem seine Seele für alle Ewigkeit treiben und von seltsamen Kreaturen in winzigen Happen aufgefressen werde würde.
    Stattdessen erwachte er mit grauenvollen Kopfschmerzen, es roch nach Asche und er steckte unter einer leichten, warmen … Decke?
    Vorsichtig stützte er sich auf die Arme, raschelnd glitt die Decke von ihm herab und er sah wieder etwas. Er lag mitten unter einem großen Haufen Asche begraben, hier und da glimmte es noch, vor sich sah er verkohlte Holzbalkenreste.
    Langsam setzte er sich auf und schaute sich um. Er befand sich im hinteren Teil des Wagens, in dem das Feuer gewütet hatte. Das Dach war verbrannt und eingestürzt, nur ein metallenes, von der Hitze geschwärztes Eisengerüst war um ihn herum stehen geblieben.
    Fassungslos stand er auf und schaute an sich hinab. Seine Kleidung war fast vollständig verbrannt, nur die Sohlen und die Stahlkappen an seinen Schuhen hatten die Flammen überstanden. Aber seine Haut sah aus wie immer, sogar die schwarzen Haare waren ihm geblieben.
    »Wie kann das sein?«
    Als er über den rechten Unterarm rieb, entdeckte er doch eine Verletzung. Es war eine eigentümlich geschwungene Narbe, die sich vom Handgelenk bis zur Armbeuge zog und mehr an ein gebranntes Zeichen erinnerte. Jeder Tätowierer wäre stolz auf ein solches Motiv gewesen. Und Eric meinte sich zu erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben …
    Ich war das nicht, heulte die Bestie und klang eifersüchtig. Tu das nie wieder, Eric. Wir hätten beide in den Flammen sterben können.
    Eric beschloss, das Wunder und das Zeichen zu einem späteren Zeitpunkt zu ergründen, wankte vorwärts und sah durch die offene Wagentür auf das Zirkuslager.
    Das Massaker hatte aufgehört; auf dem Boden lagen unzählige Leichen, die einen waren nackt, die anderen in Schwarz gekleidet und meistens aufs Übelste zugerichtet; der Schnee hatte sich großflächig rot gefärbt. Dafür fehlte jede Spur vom Welpen und Kardinal. Zanettini hatte wohl beschlossen, dass es mehr Sinn machte, eine verletzte Bestie mitzunehmen und die Hoffnung auf ihre Genesung nicht aufzugeben, als einen Gegenspieler aus dem Feuer zu ziehen.
    Eric wollte einen weiteren Schritt nach vorne machen, um aus dem Wagen klettern zu können –

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