Sanctum
eingenommen hatte? Doch das lag so viele Wochen zurück!
Zum Grübeln blieb später Zeit, zuerst musste sie weg.
Gregoria schob die Leiter vor das zerborstene Fenster über der Eingangstür und kletterte hinauf, kroch durch die Öffnung und erreichte dank der Büste den sicheren Boden. Den Atlas halb unter ihrer Robe verborgen, eilte sie hinaus und verließ den Vatikan durch eine kleine Pforte.
Gregoria lief durch die Straßen zurück zu ihrer Herberge. Einer der Bediensteten erklärte ihr mit zahlreichen Gesten, wie sie am schnellsten zum Monte Verde gelangte. Den wertvollen Atlas würde sie lieber mitnehmen, falls man in ihrer Abwesenheit das Zimmer durchsuchte.
Während sie eine angehaltene Kutsche bestieg und das Gefährt sie durch Rom transportierte, überlegte sie, wie sie die Stelle wohl fand, an der Florence festgehalten wurde. Woran sollte sie ein geheimes Gefängnis erkennen? Katakomben vor der Stadt – aber wo genau?
Zwar sank ihr Mut, doch ans Aufgeben dachte sie nicht. Sie ließ die Kutsche am Monte Verde anhalten, stieg aus und bezahlte. Dabei fiel ihr Blick durch das Stadttor, die Porta Portese, und auf einen flüchtigen Lichtschein, der von einer Lampe herrührte, die sich jenseits des Flusses abseits des Weges bewegte. Wer auch immer sie trug, er ging sehr schnell und folgte nicht der Straße.
Einem Impuls folgend, durchschritt Gregoria das Tor und begab sich außerhalb der Stadt und eilte über die Brücke. Sie sah wieder den schwachen Schimmer und folgte ihm mit einigem Abstand. Sie erkannte einen Mann, der eine Hose aus dunklem Stoff und einen abgestoßenen Gehrock trug. Auf seinem Rücken hing eine Muskete.
Der Mann steuerte auf eine Mulde zu, aus der Licht herausschien, das von einer kleinen, unruhigen Flamme herrührte. Eine Kerze oder eine Öllampe, die im Windzug flackerte. Der Mann verschwand in der Vertiefung.
Sie schlich sich näher an die Stelle und verharrte, bis der Schatten des Mannes verschwunden war; gleich darauf erlosch die Flamme.
Gregoria nahm all ihren Mut zusammen, versteckte den schweren Atlas unter einem Busch und pirschte noch näher an die Bodensenke heran, legte sich auf den Bauch und kroch vorwärts, bis sie leise Männerstimmen vernahm.
Im Mondlicht erkannte Gregoria vier schwer bewaffnete Männer, die in der Senke auf leeren Kisten saßen. Sie unterhielten sich auf Italienisch, was Gregoria nicht verstand, und bewachten einen mit einer eisenbeschlagenen Tür versehenen Eingang. Die Senke war künstlich geschaffen worden, vermutlich als Teil einer Grabung, und der Eingang führte sicherlich zu einer der zahlreichen römischen Katakomben. Gregoria hatte von ihnen gelesen. Antike unterirdische Friedhöfe, die gleichzeitig von christlichen und jüdischen Gemeinschaften genutzt worden waren, um ihre Toten würdig und nach den eigenen Riten bestatten zu können. Später, als Rückzugsorte vor den Verfolgungen, wurden sie ausgebaut. Irrwege aus Stein, unendlich lang und unter der gesamten Stadt verteilt – das perfekte Versteck.
Sie seufzte und betrachtete die Musketen, Pistolen und Dolche der Männer. Ohne weltliche Waffen würden sich die Söldner wohl nicht dazu überreden lassen, von ihrem Posten zu weichen. Hier gab es also kein Vorbeikommen für sie.
Andererseits …
Wenn die Katakomben wirklich ein derart verzweigtes Netz bildeten, wie sie gelesen hatte, dann musste es die Möglichkeit geben, einen anderen Zugang zu Florences Gefängnis zu finden. Alles, was sie dazu benötigte, waren ein erfahrener Mann oder eine Frau, die sich in der römischen Unterwelt auskannten. Bruder Matteo oder Lentolo würden ihr helfen können, so jemanden zu finden.
Gregoria rutschte weg von der Mulde, stand nach einigen Metern auf, holte den Atlas und eilte zurück zur Porta Portese. Dabei schossen ihr viele Fragen durch den Kopf: Wie schnell konnte man durch die Katakomben vorankommen? Wurde Florence auch im Inneren bewacht? In welchem Zustand befand sie sich? Wie sollte sie Bruder Matteo finden, jetzt, da der Petersdom verschlossen war? Ganz zu schweigen von Lentolo! Ein lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit bemächtigte sich ihrer. Gregoria lief mühsam weiter, bekam Seitenstechen und musste schließlich stehen bleiben, um wieder Luft zu bekommen. Sie wandte sich um und sah in die Richtung des bewachten Einganges. Sie war ihrem Ziel so nah – und hatte dennoch keine Gelegenheit, ihr Mündel zu retten.
Verzweifelt kehrte Gregoria in ihre Unterkunft zurück und betete
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