Sara Linton 01 - Tote Augen
unserer vermissten Frauen mit ihren Kontendaten abzugleichen – keine Übereinstimmung –, aber kampflos gewähren die uns keinen Zugang zu Olivias Computer, Telefon oder E-Mail. Irgendwas mit den Bundesbankengesetzen. Wir müssen in diesen Chatroom rein.«
» Ich denke mir, wenn sie so eine Online-Gruppe kontaktiert, müsste sie doch auch zu Hause einen Zugang haben.«
» Ihr Bruder sagt, sie ist die ganze Zeit in der Bank.«
» Vielleicht haben sie sich alle persönlich getroffen. Wie die AA oder eine Strickgruppe.«
» Das ist ja kaum was, was man im Gemeindezentrum ans Schwarze Brett hängt. › Du hungerst dich gerne zu Tode? Komm zu uns! ‹ «
» Wie würden sie sich sonst kennenlernen?«
» Jackie ist Maklerin, Olivia eine Bankerin, die keine Hypotheken vergibt, Pauline ist Innenarchitektin, und Anna macht, was sie eben macht – wahrscheinlich was ähnlich Attraktives.« Sie seufzte schwer. » Es muss der Chatroom sein, Will. Woher sonst sollten sie sich alle kennen?«
» Warum müssen sie einander eigentlich kennen?«, entgegnete er. » Der einzige Mensch, den sie alle kennen, ist der Entführer. Wer könnte Kontakt haben mit Frauen, die in so unterschiedlichen Bereichen arbeiten?«
» Hausmeister, Kabeltechniker, Müllmann, Kammerjäger …«
» Amanda hat die Informationsauswertung dieser ganzen Bereiche bearbeiten lassen. Wenn sich da eine Verbindung ergeben hätte, wüssten wir das inzwischen.«
» Entschuldigung, dass ich mich darauf nicht unbedingt verlasse. Sie hatten zwei Tage, und sie können nicht mal Jake Berman finden.« Sie riss das Steuer herum und bog in die North Avenue ein. Zwei Streifenwagen der Atlanta Police sperrten den Schauplatz ab. In einiger Entfernung sahen sie Leo, der wild mit den Armen fuchtelnd auf einen armen Jungen in Uniform einschrie.
Faiths Handy klingelte schon wieder. Sie steckte es beim Aussteigen in die Tasche. » Ich bin im Augenblick nicht gerade Leos Liebling. Vielleicht sollten Sie das Reden übernehmen.«
Will fand auch, dass es das Beste sei, vor allem, da Leo jetzt schon so aussah, als wäre er deutlich mehr als wütend. Er schrie den Uniformierten noch immer an, als sie auf ihn zukamen. Jedes zweite Wort war » Scheiße«, und sein Gesicht war so rot, dass Will befürchtete, er würde gleich einen Herzinfarkt bekommen.
Über ihnen schwebte ein Polizeihubschrauber, ein Ghetto Bird, wie die Leute aus dem Viertel ihn nannten. Der Helikopter flog so tief, dass Will seine Trommelfelle vibrieren spürte. Leo wartete, bis er ein Stückchen entfernt war, bevor er barsch fragte: » Was, zum Teufel, wollt ihr denn hier?«
Will sagte: » Dieser Vermisstenfall, den Sie uns gegeben haben – Olivia Tanner. Hinter ihrem Haus haben wir Taser-Scheibchen gefunden, die sich zu Patronen zurückverfolgen lassen, die Pauline Seward gekauft hatte.«
Leo murmelte: » Scheiße.«
» Außerdem haben wir in Pauline McGhees Büro Indizien gefunden, die sie mit der Höhle in Verbindung bringen.«
Nun ging Leos Neugier mit ihm durch. » Haltet ihr Pauline für die Täterin?«
Diesen Gedanken hatte Will noch nicht einmal in Betracht gezogen. » Nein, wir glauben, sie wurde vom selben Mann entführt, der auch die anderen Frauen verschleppt hat. Wir müssen alles wissen, was …«
» Gibt’s nicht viel zu sagen«, unterbrach er ihn. » Ich habe heute Morgen mit Michigan telefoniert. Hab’s für mich behalten, weil Ihre Partnerin in letzter Zeit ein so gottverdammter Sonnenschein ist.«
Faith öffnete den Mund, aber Will streckte die Hand aus, um sie zum Schweigen zu bringen. » Was haben Sie herausgefunden?«
Leo sagte: » Hab mit einem alten Hasen gesprochen, den sie in der Telefonzentrale sitzen haben. Dick Winters heißt er. Seit dreißig Jahren ist er bei der Truppe, und jetzt lassen sie ihn vor dem Telefon hocken. Das muss man sich mal vorstellen!«
» Konnte er sich an Pauline erinnern?«
» Ja, er erinnerte sich an sie. Ein gut aussehendes Mädchen sei sie gewesen. Klang so, als hätte er ’ne Schwäche für sie gehabt.«
Im Augenblick war es Will mehr als egal, ob irgendein alter Polizistenkauz früher einmal ein Auge auf einen Teenager geworfen hatte. » Was ist passiert?«
» Er griff sie ein paar Mal auf wegen Ladendiebstahl und übermäßigem Alkoholgenuss mit Ruhestörung. Er nahm sie jedoch nie mit aufs Revier – fuhr sie nur nach Hause und sagte ihr, sie solle endlich mal vernünftig werden. Sie war noch minderjährig, aber als sie siebzehn wurde,
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