Sasori, S: Schlangenfluch: Samuels Versuchung
Woche auf den Beinen halten, aber hübscher wird er in dieser Zeit nicht. Die ersten Hämatome bilden sich jetzt schon.“
Draußen zog ein Wolkenfetzen über den Mond. Samuel konzentrierte sich auf den Anblick, um seine Wut in den Griff zu bekommen. Vielleicht war es auch nur Enttäuschung, oder beides zusammen.
„Samuel? Bist du noch dran?“
„In Augenblicken wie diesen würde ich dich gerne hassen, Raven.“
„Ich weiß. Komm nach London. Du hast in Morar nichts zu suchen.“
Oh doch. Das hatte er. Seine und Ravens Wurzeln steckten im Schlamm dieses Sees. „Nur heute Nacht noch. Morgen fahre ich ab.“
Raven zischte. Es passte ihm nicht. „Ist David da?“
Samuel riss sich von dem Anblick des Sees los, der ihn mit einer Intensität in seine Kühle lockte, die Raven niemals verstehen würde. „Nein. Er ist auf einer Geschäftsreise. Sonst wäre ich nicht hier.“
„Gut. Das beruhigt mich. Sag Mum einen schönen Gruß von mir und sie soll David mit einer von Finleys rostigen Äxten erschlagen. Ian wird nicht heulen, der Kleine hat ein Recht darauf, die Wahrheit über seinen Vater zu erfahren und er ist längst alt genug dafür.“
Ihr kleiner Bruder würde verzweifeln. Er liebte seinen Vater mehr als alles andere auf der Welt, und es gab Wahrheiten, für die er nie alt genug sein würde. Raven wusste das.
„Du sagst Ian kein Wort. Du hast es mir geschworen.“
Raven schnaubte. „Und wenn David Ians Samthaut plötzlich deinen Schuppen vorzieht?“
Das durfte nie geschehen. Samuel schloss die Augen, aber die Erinnerungen fielen trotzdem über ihn her. Eines Nachts, vor zehn Jahren, hatte David auf dem Bootssteg gehockt, als er aus dem See auftauchte. David hatte sich an den Schuppen nicht gestört. Im Gegenteil, ihre eigenwillige Sensibilität hatte er während der Nacht erforscht und auf eine Weise genutzt, bei der Samuel fast den Verstand verloren hatte. Der Schmerz war unendlich gewesen, ebenso wie die Lust, die David geschürt und endlich dermaßen brachial gestillt hatte, dass Samuel zusammengebrochen war. Erst am nächsten Morgen war er in seinem Bett wieder zu sich gekommen. Das Spiel hatte David oft wiederholt. Dann war Samuel zusammen mit Raven nach London geflohen. Mia glaubte an einen Streit und akzeptierte, dass sich ihre ältesten Söhne mit ihrem Stiefvater überworfen hatten. Dabei ließ sie es bewenden.
Er beendete das Gespräch, warf sich eine Jacke über und schlich die breite Treppe hinunter. Erin und Finley würden schlafen, Mia in verworrenen Träumen teilnahmslos vor sich hin vegetieren. Die Eingangstür knarrte, als er sie hinter sich zuzog. Im Haus rührte sich nichts. Warum auch? Es gab nichts Besonderes, außer, dass ein Monster versuchte, seinen Vater zu finden.
*
Arschkalt! Vivienne trat die Steine weg, um keine Abdrücke in den Hintern zu bekommen. Sie knautschte die Isomatte zusammen und setzte sich drauf. Was hatte sie nur geritten, sich bei einer Exkursion einzutragen, die von dem Idioten Dr. Hendrik Johannson geleitet wurde? Johannson war ein Spinner, wie alle Kryptozoologen, sie nahm sich da nicht aus, aber bei ihm war es besonders schlimm. Dass er seine Assistenten nicht zum schnelleren Arbeiten peitschte, war ein Wunder. Dieser Mann war besessen von etwas, das es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht gab. Jedenfalls nicht, wie er es wollte. Sie zerrte ihren Rucksack näher und baute Thermoskanne und Infrarotkamera vor sich auf. Wehe, sie schoss heute Nacht nicht perfekte Fotos von irgendetwas, das spektakulärer als ein Biber war. Das wird spannend, hatte Johannson behauptet und ihr die Nachtsichtausrüstung ins Auto geladen. Blödsinn! Kalt und klamm war es. Sie konnte ihre Füße nicht mehr spüren, und der alte Drecksack saß im warmen Stübchen eines kuscheligen Hotels und gab vor, Bildmaterial auszuwerten, das aus der Steinzeit der Technik kam. Sie schob ihre Brille höher auf die Nase und verkniff sich ein Gähnen. Wäre Johannson dabei gewesen, hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als ihre Müdigkeit zuzugeben. Aber er war nicht hier und das war gut so. Trocken wie ein Furz war der Kerl, außer seiner Begeisterung für Seeungeheuer konnte ihn nichts aus der Reserve locken. Seeungeheuer? Pah! Wenn es das mal wäre. Was hatte sie sich die Zunge fransig geredet, um ihm in den Schädel zu hämmern, dass sie es bei dieser Spezies mit einem Plesiosaurier zu tun haben mussten. Das vermutete jeder, der nicht völlig den Geist aufgegeben hatte.
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