Satori - Winslow, D: Satori - Satori
riesigen Schwärme von Fahrrädern zu regeln, die sich in dem Chaos der französischen und asiatischen Fahrstile gegenseitig das Vorfahrtsrecht streitig machten. Hupen, Klingeln und lautes, aber nicht unfreundliches Schimpfen auf Französisch, Vietnamesisch und Chinesisch trug zur allgemeinen urbanen Kakophonie bei.
Kinder sprangen durch den Verkehr und verkauften Zeitungen, Orangenlimonade oder Zigaretten an Kunden, die gerade im Stau steckten oder an einem Cafétisch saßen oder einfach nur über den Bürgersteig gingen.
Die Frauen sahen umwerfend aus, dachte Nikolai – schlanke, zarte Vietnamesinnen in eng geschnittenen ao dais aus Seide blieben stehen, um die Auslagen in den Geschäften zu betrachten, während die eleganten französischen colons den Pariser Laufstegen modisch höchstens ein Jahr hinterher waren und mit ihren langen Beinen unter den bewundernden Blicken der Cafégäste über die Straße schlenderten.
Das Taxi hielt vor dem Continental Hotel, einem breiten, weißen Kolonialgebäude im Beaux-Arts-Stil mit geschwungenen Fenstern und Giebeltüren. Es war die Stunde vor dem Abendessen, die Zeit am späten Nachmittag, wenn sich die privilegierten Klassen von der Hitze und den Verrichtungen des Tages erholen und die Eleganteren unter ihnen auf der breiten Caféterrasse des Hotels direkt am Boulevard einfanden. Das Continental auf der Rue Catinat direkt gegenüber den Büros des USIS war ein guter Ort, um einen Drink zu genießen, Nachrichten und geheime Informationen auszutauschen (mittlerweile wurde das Café sogar schon »Radio Catinat« genannt) oder eine Begleitung zu finden, mit der man einen Tisch beim Abendessen und eventuell später auch das Bett teilen konnte.
Ellis Haverford spähte durch das Granatenabwehrgitter und beobachtete, wie Nikolai sich vom Rücksitz des kleinen Wagens erhob. In der Kleidung, die er in Luang Prabang gekauft hatte, sah er aus wie ein klassischer colon aus Südostasien. Vietnamesische Hotelpagen in kurzen weißen Jacken und schwarzen Hosen kamen herausgeeilt, um ihm das Gepäck abzunehmen und in die Lobby zu tragen.
Ich bin froh, dich zu sehen, Nikolai, dachte Haverford.
Er war sich relativ sicher gewesen, dass Hel nach Saigon kommen würde, trotzdem war es gut, seine Vermutung bestätigt zu sehen.
Nikolai ging an einer recht erstaunlichen Bronzestatue von Napoleon vorbei zum Empfang.
»Monsieur Guibert?« Der métis hinter dem Tresen lächelte ihn an. Er hatte einen Anruf von Bay Vien höchstpersönlich erhalten und war nun entsprechend unterwürfig.
»Willkommen im Continental. Es ist uns ein großes Vergnügen, Sie beherbergen zu dürfen.«
»Vielen Dank.«
»Ihr Zimmer ist bereit«, sagte der Empfangschef. »Und Monsieur Mancini möchte Sie gern auf einen Drink einladen, wenn es Ihnen recht ist. In der Bar? Sechs Uhr?«
»Bitte sagen Sie ihm, dass ich mich geehrt fühle und die Einladung annehme«, sagte Nikolai. Signavi hatte offensichtlich keine Zeit verschwendet und seine korsischen Kollegen unverzüglich über sein Eintreffen in der Stadt informiert.
Mathieu Mancini war nach dem Ersten Weltkrieg nach Saigon gekommen, hatte eine wohlhabende Vietnamesin geheiratet und das Continental gekauft. Man sagte ihm nach, er sei der Chef der Union Corse, der korsischen Mafia, und ein enger Vertrauter von Bao Dai.
Außerdem natürlich ein Freund von Bay Vien.
Ein Page brachte Nikolai in sein Zimmer im vierten, dem obersten, Stockwerk. Es war groß, hatte hohe Decken und weiß getünchte Wände und war mit schlichten, aber eleganten Holzmöbeln ausgestattet. Doppelflügelige Türen führten auf einen kleinen Balkon mit schmiedeeiserner Balustrade. Ein Deckenventilator ließ die feuchtwarme Luft zirkulieren und sorgte für ein wenig Abkühlung.
Nikolai gab dem Pagen ein Trinkgeld und war froh, allein und ungestört zu sein. Er bestellte beim Zimmerservice ein kaltes Bier und schwelgte eine halbe Stunde in einem dampfend heißen Bad.
Es war gut, wieder in einer Großstadt zu sein und sich ein bisschen Luxus und Eleganz zu gönnen, wie er es seit Schanghai nicht mehr gekannt hatte. Der Kontrast zwischen dem fast kochend heißen Badewasser und dem kalten Bier war ein herrlicher Genuss, und Nikolai überließ sich ein paar Minuten lang ganz und gar dem Reich seiner Sinne.
Dann betrachtete er die Lage auf dem Go-Brett.
Er hatte seine Position verbessert. Ich habe es unversehrt aus China herausgeschafft, dachte er, ich habe Kapital – oder werde morgen
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