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Satori - Winslow, D: Satori - Satori

Titel: Satori - Winslow, D: Satori - Satori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Vergangenheit im Schlaf beherrschen, werde ich Ihnen von Ihrer neuen Zukunft erzählen.«
    Meine ›neue Zukunft‹, dachte Nikolai. Eine typisch amerikanische Vorstellung, geradezu perfekt in ihrem naiven Optimismus. Nur Amerikaner konnten von einer ›neuen‹ Zukunft im Gegensatz zu einer ›alten‹ sprechen.
    »Jetzt müssen wir ein paar Fotos machen«, sagte Haverford.
    »Warum?«
    Weil eine Akte über Guibert zusammengestellt werden musste, erklärte Haverford. Jeder halbwegs erfolgreiche Waffenhändler besaß heutzutage seinen eigenen Ordner in den Regalen sämtlicher einigermaßen relevanter Geheimdienstorganisationen. Die Fotos würden bei der CIA, dem Deuxième Bureau und dem MI6 an die jeweils richtige Stelle und über Maulwürfe sogar bis nach China gelangen. Fotos von Michel Guibert würden in die alten Polizeiakten der Kuomintang eingeschmuggelt werden. Die »Zauberkünstler im Labor« würden Guibert auf den Straßen von Kowloon, in den Kasinos von Monaco und im Hafen von Marseille auftauchen lassen.
    »Wenn wir fertig sind«, verkündete Haverford fröhlich, »werden Sie selbst glauben, Sie seien Michel Guibert und hätten den Krieg in Hongkong ausgesessen. Von jetzt an werden Sie auf den Namen ›Michel‹ hören, und nur Michel. Nicht mehr auf ›Nikolai‹. Verstanden, Michel?«
    »So kompliziert das auch sein mag«, erwiderte Nikolai, »ich glaube, ich habe eine Ahnung, was Sie meinen, ja.«
    Solange kam mit einem Stapel Kleidung ins Zimmer zurück und hängte sie über eine Stuhllehne. »Ihre neue Garderobe, Michel. Très chic .«
    Sie ging hinaus, um noch mehr zu holen.
    Nikolai nahm die offensichtlich schon gebrauchte Kleidung in Augenschein. Natürlich war sie gebraucht, dachte er. Das ist absolut einleuchtend – wenn man in das Leben eines anderen tritt, wirft man seine Kleidung über und die Kleidung ist selbstverständlich getragen, nicht neu. Er begutachtete die Marken. Einige der älteren Stücke stammten von einem Schneider in Kowloon, die meisten aber waren französisch und größtenteils aus teuer klingenden Läden in Marseille. Einige wenige Hemden und zwei Anzüge kamen aus Monaco. Allesamt waren sie aus hochwertigen, leichten Stoffen gefertigt – Seide und Baumwolle. Es gab eine Anzahl khakifarbener Drillichhosen, selbstverständlich mit Bundfalte. Anscheinend bevorzugte Michel weiße und khakifarbene Anzüge mit bunten Hemden, ohne Krawatte.
    Und die Kleidungsstücke rochen – nach Schweiß, Tabak und Eau de Cologne. Das musste der Neid ihm lassen, dachte Nikolai, wenn Haverford eines war, dann gründlich.
    Solange kehrte mit weiteren Kleidungsstücken zurück, blieb mit dem Zeigefinger an den Lippen stehen und betrachtete abwechselnd die Anzüge und Nikolai. »Mal sehen, was werden Sie für die erste Aufnahme tragen … Wir beginnen mit Hongkong, non ?«
    Die Gewissenhaftigkeit, mit der sie sich auf seine falsche Fassade konzentrierte, war recht charmant. Sie wählte ein Hemd aus, legte es zurück, entschied sich für ein anderes und suchte einen passenden Anzug.
    »Das hier, ja? Oui – parfait .«
    Sie übergab Nikolai die ausgewählten Sachen und bat ihn, sich umzuziehen. Als er wie Michel gekleidet aus seinem Zimmer zurückkehrte, hatte Haverford die Kamera schon bereit. Sie gingen in den Garten hinaus, um vor einem »unscharfen Hintergrund im Freien« einige Fotos zu machen. Damit begann für Nikolai ein endlos langweiliger Nachmittag, an dem derselbe Vorgang unzählige Male wiederholt wurde. Allein Solange hatte viel Spaß beim Zusammenstellen von Michels Garderobe.
    »Das war entsetzlich«, sagte Nikolai, als Haverford endlich gegangen war.
    »Mir hat es Spaß gemacht«, entgegnete Solange. »Ich liebe Mode, und Michel hat ein Näschen dafür, non ?«
    »Sie haben die Kleidung besorgt, nicht wahr?«
    »Aber natürlich«, sagte sie. »Sie glauben doch nicht, ich würde zulassen, dass man Sie in irgendwelche altmodischen Sachen steckt?«
    Nachdem sie suprêmes de poulet à l’estragon mit grünen Bohnen à la provençale und zum Dessert eine tarte aux poires et à la frangipane verspeist sowie den unvermeidlichen Espresso, den Cognac und die Zigarette genossen hatten, widmete Nikolai sich der Akte Guibert. Die Geschichte war beeindruckend, schon aufgrund ihres Umfangs und Detailreichtums, trotzdem fiel es Nikolai nicht schwer, sich die wichtigen Nebensächlichkeiten zu merken, wie zum Beispiel, welchen tabac Michel in Montpellier am liebsten geraucht hatte,

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