Saturn
er mit
dem Schwert des Islam in Konflikt geriet und lieber den Gang
ins unbegrenzte Exil angetreten hatte, anstatt eine
fünfzigjährige Haftstrafe wegen politischer Agitation zu
verbüßen. An Bord des Habitats hatte er dann in der
Buchhaltung gearbeitet.
»Ein Rechtsanwalt?«, grummelte der Krankenpfleger,
nachdem der Patient sich wieder so weit erholt hatte, dass er
mit seiner Freundin nach Hause zu gehen vermochte. »Von
mir aus hätte er die Stimme nicht so schnell wiederfinden
müssen.«
269 Tage nach dem Start
Als Holly am nächsten Morgen in ihrem winzigen Büro
erschien, hatte sie schon eine Nachricht von Eberly auf dem
Computerbildschirm. Sie setzte sich gar nicht erst an den
Schreibtisch, sondern ging gleich in sein Büro. Die Tür stand
offen; er saß am Schreibtisch und war in ein Gespräch mit
einem jungen asiatischen Paar vertieft. Sie zögerte. Eberly
schaute zu ihr auf und nickte kurz; also blieb sie am Eingang
stehen und hörte zu.
»Wir haben die Bestimmungen und ihren tieferen Sinn schon
verstanden«, sagte der junge Mann in kalifornischem Englisch.
Holly sah, dass er angespannt war und steif auf der Stuhlkante
saß.
»Es ist meine Schuld«, sagte die Frau. Sie beugte sich nach
vorn und packte mit beiden Händen die Kante von Eberlys
Schreibtisch. »Ich habe mich nicht ausreichend geschützt.«
Eberly lehnte sich auf dem Stuhl zurück und legte die
Fingerspitzen aneinander. »Die Bestimmungen sind
eindeutig«, sagte er sanft. »Sie werden nicht um eine
Abtreibung herumkommen.«
Die Gesichtszüge des Manns entgleisten. »Aber… es ist doch
nur ein Einzelfall. Könnten Sie nicht vielleicht eine Ausnahme
machen?«
»Wenn ich bei Ihnen eine Ausnahme machen würde«, sagte
Eberly, »könnten andere das auch für sich beanspruchen, nicht
wahr?«
»Ja. Ich verstehe.«
Eberly spreizte in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände.
»Wir leben in einer beschränkten Ökologie. Wir dürfen die
Population nicht vergrößern. Erst wenn wir den Saturn
erreichen und zeigen, dass wir auch eine größere Anzahl von
Menschen zu ernähren vermögen, wird überhaupt irgend
jemand wieder Kinder bekommen dürfen.«
»Dann muss ich also abtreiben lassen?«, fragte die Frau mit
zitternder Stimme.
»Oder wir setzen Sie ab, wenn wir am Jupiter auftanken, und
Sie fliegen zur Erde zurück.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Wir können uns die
Transportkosten nicht leisten. Alles was wir hatten, haben wir
in dieses Habitat investiert.«
»Haben sie religiöse Bedenken wegen der Abtreibung?«,
fragte Eberly.
»Nein«, antwortete der Mann so schnell, dass Holly sich
darüber wunderte.
»Gäbe es noch eine andere Möglichkeit?«, fragte ‒ bettelte ‒
die Frau.
Eberly legte wieder die Fingerspitzen aneinander und tippte
sich ans Kinn. Das junge Paar beugte sich unbewusst nach
vorn und wartete auf ein Wort der Hoffnung.
»Vielleicht…«
»Ja?«, sagten sie unisono.
»Vielleicht wäre es möglich, die befruchtete Zygote zu
entnehmen und einzufrieren ‒ und sie zu lagern, bis darüber
entschieden ist, ob wir unsere Population vergrößern können.«
Einfrieren! Holly schauderte bei dieser Vorstellung. Und
doch war so ihr Leben gerettet worden. Nein, sagte sie sich.
Dadurch war es ihr ermöglicht worden, ein neues Leben zu
beginnen, nachdem ihr altes mit dem Tod geendet hatte.
»Dann kann die Zygote wieder in die Gebärmutter
eingepflanzt werden«, sagte Eberly. »Sie werden ein ganz
normales Baby bekommen; Sie müssten nur ein paar Jahre
warten.«
Er lächelte sie fröhlich an. Sie schauten sich an und dann
wieder ihn.
»Wäre das wirklich zu machen?«, fragte der junge Mann.
»Es würde zwar eine Sondergenehmigung erfordern«, sagte
Eberly, »aber ich kann das für Sie arrangieren.«
»Würden Sie das für uns tun?«
Er zögerte nur für einen Sekundenbruchteil. Dann lächelte er
wieder und sagte: »Ja. Natürlich. Ich werde mich für Sie
darum kümmern.«
Sie waren ihm unendlich dankbar. Es dauerte einige Minuten
des Händeschüttelns und der Verbeugungen, bevor es Eberly
gelang, sie aus dem Büro hinauszukomplimentieren. Sie
nahmen nicht einmal Notiz von Holly, die noch immer an der
Tür stand, während sie sich mit dankbaren Verbeugungen
verabschiedeten.
»Das war sehr nobel von Ihnen, Malcolm«, sagte Holly, als
sie zum Stuhl ging, auf dem die Frau gesessen hatte.
»Geburtenkontrolle«, murmelte er, als er um den Tisch
Weitere Kostenlose Bücher