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Saturn

Saturn

Titel: Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova
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ausschließlich für diese phantastischen
    Ringe. Und sie hatte sie alle für sich. Der Rest der Belegschaft
    war auf Titan fixiert und überließ die Ringe ihr allein.
    Es kann überhaupt nichts schief gehen, sagte Nadia sich. Ich
    bin die Einzige. Ich habe sie alle für mich.
    Sie rief die aktuellen Teleskopbilder von den Ringen auf und
    war bald in die Betrachtung ihrer geheimnisvollen,
    ästhetischen Dynamik versunken. Wie sind diese Stränge nur
    geflochten worden?, fragte sie sich. Wie kommt es, dass diese
    Speichen manchmal erscheinen und dann wieder
    verschwinden? Und vor allem, wieso hat der Saturn
    überhaupt so schöne Ringe? Sie können nicht sehr alt sein,
    denn ihre Teilchen fallen innerhalb von ein paar Millionen
    Jahren auf den Planeten. Wie kommt es, dass sie sich uns so
    darbieten? Wie kommen wir zu diesem Glück? Wie kommt es,
    dass Jupiter und die anderen Gasriesen kleine dunkle Ringe
    haben, die man kaum sieht, während Saturn von diesem
    großartigen Reif umspannt wird? Was macht den Saturn so
    besonders?
    Die Stunden vergingen, während sie die Ringe in ihrem
    komplexen, geradezu hypnotischen Ballett betrachtete. Sie
    vergaß die anderen Wissenschaftler, die um Urbains Gunst
    buhlten. Sie vergaß den Entwurf, den sie fertig stellen musste.
    Sie vergaß Eberly und seine Rede und überhaupt alles um sich
    herum ‒ so groß war die Faszination, die die glühenden,
    verlockenden Ringe des Saturn auf sie ausübten.
    Oswaldo Yaňez vermochte an nichts anderes mehr als an
    Eberlys Rede zu denken. Er löcherte andere Ärzte auf der
    Krankenstation, hielt Krankenschwestern auf ihrer Runde an,
    um sie nach ihrer Meinung zu fragen und diskutierte mit
    jedem Patienten, den er an diesem Morgen sah, über die Rede.
    Er tippte einem Mechaniker, der über Rückenschmerzen
    klagte, auf die Brust und sprach in höchsten Tönen von
    Eberlys Ideen.
    »Der Mann hat absolut Recht«, insistierte er. »Er ist ein
    Genie. Es bedarf auch eines wirklichen Genies, um durch die
    ganzen Details zum Kern der Sache vorzustoßen.«
    Sein Patient zuckte leicht zusammen, als er sich auf dem
    Behandlungstisch aufsetzte. »Geben Sie mir einfach eine
    Spritze, Doc, und lassen Sie mich wieder an die Arbeit gehen«,
    erwiderte er.
    Den ganzen Morgen textete Yaňez in seinem lebhaften,
    schnellen Englisch mit spanischem Akzent alle und jeden zu,
    der in seine Hörweite kam. Er war ein runder kleiner Mann
    mit einem runden, fröhlichen Koboldgesicht, das ein sehr
    reges Mienenspiel hatte ‒ vor allem dann, wenn er sich so für
    ein Thema begeisterte wie für Eberlys Rede.
    Yaňez war weder ein politischer Exilant noch ein Rebell oder
    ein verurteilter Straftäter. Er war Idealist. Er hatte sich von der
    Schulmedizin in Buenos Aires abgewandt, weil er glaubte,
    dass das Verbot des therapeutischen Klonens auf überholten
    religiösen Überzeugungen beruhte und die eindeutigen
    Beweise für den medizinischen Nutzen ignorierte, den die
    Regeneration von durch Krankheit oder Trauma beschädigtem
    Gewebe zeitigte. Die Ärztekammer hatte ihn vor die Wahl
    gestellt: Entweder nahm er an der Saturn-Mission teil, oder er
    blieb in Buenos Aires und bekam die Approbation entzogen.
    Yaňez fiel die Entscheidung nicht schwer: Eine neue,
    sauberere Welt war auf jeden Fall dem langsamen geistigen
    Tod vorzuziehen, der ihn unweigerlich ereilen würde, wenn er
    blieb. Er bat nur darum, dass seine Frau ihn begleiten dürfe.
    Sie war ziemlich erstaunt, als er ihr die Nachricht verkündete.
    Und nun hatten Eberlys kühne Worte es ihm angetan. »Wir
    sollten die Kontrolle über dieses Habitat übernehmen«,
    wiederholte er den lieben langen Tag. »Wir sollten unsere
    eigene Regierung bilden und diese neue Welt so gestalten, wie
    sie gestaltet werden sollte. Und Eberly ist eindeutig der
    richtige Mann, um uns zu führen.«
    284 Tage nach dem Start
    Professor Wilmot lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück und
    genoss den Komfort der Lederpolsterung. Das Holo-Fenster
    zur Linken zeigte eine dreidimensionale Abbildung der
    felsigen Küste, wo der River Bann sich in den kalten und
    turbulenten North Channel ergoss. Es war, als ob er auf dem
    alten Familiensitz aus dem Fenster geschaut hätte.
    Merkwürdig, sagte er sich, ich vermisse die alte Heimat immer
    nur dann, wenn ich solche Szenen betrachte. Aus der Ferne
    sieht man wohl alles durch eine rosarote Brille.
    Das Telefon summte und meldete: »Dr. Eberly möchte Sie
    sprechen, Sir.«
    Wilmot seufzte schwer

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