Saugfest
Mitschreiben. »Eine Bäuerin ist eine Frau, die einen Bauernhof hat. Sigrun hat viel erlebt. Die Cholera hat sie auch durchgemacht. War kein Spaß, wirklich nicht.«
»Ist sie Entwicklungshelferin?«, mache ich noch einen Versuch, dieses Gespräch wieder in geordnete Bahnen zu lenken und um mir ein Stück Normalität zu verschaffen. Immerhin könnte es ja möglich sein, dass Sigrun mal in Afrika war und dort mit schwarzen Waisen gearbeitet hat, deren Umgebung choleraverseucht war. Doch Anselm glotzt einfach nur dumm, und ich hake den Versuch innerlich ab, nicke ihm zu und steige mit allen meinen Sachen in den Fahrstuhl. Der bringt mich nach unten, und ich hoffe, dass Menschen so klug waren, dort in der Tiefe an eine Stromversorgung zu denken.
*
William Wallace ist außer sich. Krebsrot hüpft er vor mir auf und ab, ballt die Hand zur Faust und stößt kriegerische Kampfrufe aus, die, wie er mir versichert, korrekt schottisch seien. Die schon. Aber das, was er da vorgesetzt bekommt, sei so was von an den
Haaren herbeigezogen, »dass ich kurz davor bin, meinen Morgenstern sprechen zu lassen!«.
»Meine Frau heißt also Murron«, keucht er böse, dreht sich zu mir um und deutet mit seinem etwas zu lang geratenen Zeigefinger, der ihn ein wenig wie einen Troll wirken lässt, auf mich wie auf ein scheußliches Insekt.
»Im Film«, rechtfertige ich mich. »Das ist doch nur ein Film.«
»Das ist kein Film!«, ruft William. »Was auch immer ein Film ist, es ist falsch. Meine Frau hieß nicht Murron.«
»Das macht doch nichts«, versuche ich zu erklären, während mir alles immer merkwürdiger vorkommt. Als ich hier wieder aufgetaucht bin, hat man auf meinen Laptop gestarrt wie auf ein gefährliches, unbekanntes Insekt, um nach dem Aufklappen des Teils paarweise zurückzuweichen. Der Einzige, der weiter ein undurchsichtiges Pokerface hat, ist Mr.Zedernholz Hubertus. Er würde auch noch eine stoische Ruhe ausstrahlen, wenn das Gebälk über uns zusammenbräche.
Williams Aufregung geht irgendwann vorbei und macht einem gediegenen Zornesausbruch Platz, der in gespuckten Halbsätzen mündet. Dabei haben wir noch nicht mal ein Viertel von
Braveheart
geschaut. Wie soll das weitergehen? Er stellt alles in Frage, selbst die Beschaffenheit des Lehmbodens zu dieser Zeit.
»Murron, Murron!«, wiederholt er ständig. »Das ist gelogen, gelogen ist das! Außerdem schau mal bitte da, die Zähne! Die Frauen damals hatten solche Zähne nicht. Die Zähne waren teilweise schwarz, wenn es überhaupt welche gab! Und überhaupt, das soll ich sein? Sehe ich so aus? Hatte ich jemals einen solchen Kilt? Nein, hatte ich nicht. Die da sind doch überhaupt nicht handgenäht. Meine Kilts wohl!«
Ich beginne, mir Sorgen um Williams Herz zu machen. Er ist nicht mehr der Jüngste, um das mal so auszudrücken, und falls er sowieso schon infarktgefährdet ist, möchte ich nicht schuld daran sein, wenn der Film das Fass nun zum Überlaufen bringt.
»In solch einer Hütte habe ich auch nie gewohnt«, geht es weiter.
»Über die Zäumung der Pferde möchte ich gar nicht erst sprechen. Und meine Frau hieß bei Gott nicht Murron.«
»Ja, wie hieß denn deine Frau?«
»Woher soll ich das wissen? Weißt du, wie lange das alles her ist? Ich bin seit 1305 tot! Mein Kopf wurde mir damals abgetrennt, und man hat ihn auf der London Bridge aufgespießt.«
»Dein Kopf ist doch aber da«, werfe ich verzweifelt ein, während ich mir wünsche, auch seit 1305 tot zu sein.
»Ja, ist er auch wieder. Mein gevierteilter Körper auch.«
William Wallace beginnt, sein Hemd aufzuknöpfen und seine Hose auch.
Und ich kippe zum zweiten Mal, seitdem ich diese Truppe kenne, einfach um, und bin während des Ohnmächtigwerdens dankbar, dass mein Körper über diese Schutzfunktion verfügt.
10
»Es wurde stümperhaft gearbeitet. Man hat grobe, stumpfe Nadeln benutzt. Es wurde unsauber genäht. Ich rege mich heute noch darüber auf. Dabei ist es nicht gerade schwer, einen Oberschenkel so wieder an den Torso anzubringen, dass man die Nahtstellen nicht sieht. Ich werde immer darüber gram sein. Die Narben werden mich nun bis in alle Ewigkeiten begleiten.«
Ich blinzele und schließe die Augen gleich wieder. O mein Gott, ist das entsetzlich.
»Irgendein Witzbold fand es lustig, mir in unregelmäßigen Abständen nicht gut verarbeitete Hirschhornknöpfe in die Hautverbindungsstellen einzunähen. Wenn ich versuche, die zu entfernen, löst sich aber das schon vernarbte
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