Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
zu bewegen. Ich hatte größte Lust, noch einen Ausritt zu wagen, aber daran war natürlich nicht zu denken. Wenn ich noch einige Tage länger bei Willoughby verweilen wollte, musste ich glaubhaft die Kranke spielen und in meinem Zimmer ruhen. Der Gedanke gefiel mir nicht besonders, aber ich hätte alles getan, um nicht nach Hause zu müssen. Zurück in mein eintöniges Leben.
Willoughbys Anwesen würde bald schon das meine sein. “Mrs John Willoughby”, murmelte ich vor mich hin. Dann sagte ich den Namen etwas lauter. Der Klang gefiel mir, der Gedanke gefiel mir. Ich wiederholte den Namen noch einmal und drehte mich mit einem unsichtbaren Tanzpartner im Kreis, bis ein Lachen mich zusammenschrecken ließ.
In der Tür stand eine alte Frau, auf ihren Stock gestützt, und musterte mich aus kalten, wachen Augen. Ich raffte mein Nachthemd zusammen und warf mir einen Morgenrock über. “Sie scheinen über eine ausgesprochen robuste Konstitution zu verfügen. Ich freue mich, dass es Ihnen bereits besser geht.”
Ich tat, als bemerkte ich den spöttischen Unterton nicht und überging ihre Bemerkung, was äußerst unhöflich war, aber ihr unangemeldetes Eindringen in mein Zimmer war es ebenfalls.
“Sie müssen Mr Willoughbys Tante sein”, sagte ich und knickste möglichst würdevoll, was in Anbetracht meines unpassenden Aufzuges gründlich misslang. “Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.”
“Sparen Sie sich die Floskeln, Miss. Da Sie auf so wundersame Weise genesen sind, wird Sie mein Neffe nach dem Tee nach Hause begleiten.” Sie schlug die Tür zu und ich ließ mich auf die Bettkante sinken. Sollte das das Ende sein, nach nur einer Nacht? Was mochte Willoughbys Tante von mir denken? So wie sie sich verhalten hatte, war mein erster Eindruck gründlich misslungen. Würde sie Elinor davon berichten? Aber was bildete sie sich ein, einfach in mein Zimmer zu platzen?
Ich nahm mein Kleid von dem Stuhl, doch ohne Hilfe würde ich mich nicht ankleiden können, also läutete ich. Einen Moment später steckte eine Zofe ihren Kopf zur Tür herein und knickste. “Guten Morgen, Miss Marianne.” Sie wartete meine Wünsche nicht ab, sondern öffnete den Schrank und nahm Kleidung heraus.
“Mein Kleid liegt auf dem Stuhl”, sagte ich, aber sie schüttelte den Kopf.
“Mr Willoughby hat mir genaue Anweisungen gegeben.” Sie betonte das Wort Anweisungen auf eine besondere Art, so dass ich nicht widersprach, als sie mir aus dem Nachthemd half, mir ein Korsett umlegte und sogleich begann, die Bänder fest anzuziehen. Ich stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sich die Nieten, hart und kalt an meine Brüste drückten. “Ist es zu fest, Miss Marianne?”
“Nein”, keuchte ich. “Schnüre es nur fester.” Ich atmete ein und hielt die Luft an, bis das Korsett so fest saß, dass ich kaum noch atmen konnte. Das Kleid passte wie maßgeschneidert. Ich betrachtete mich in dem großen Frisierspiegel. War ich diese Frau mit der Wespentaille und den unergründlichen Augen?
“Sie sehen wunderschön aus”, sagte das Mädchen und begann meine Haare zu einem filigranen Gebilde hochzustecken.
Sie hatte recht, ich war wunderschön. Doch ich war nicht mehr Miss Marianne Dashwood; die Frau, die mich in dem Spiegel anlächelte, war Mrs John Willoughby. Das Mädchen stand wartend hinter mir, ich begegnete ihrem Blick, bevor sie die Augen senkte.
“Danke”, sagte ich, “Du kannst gehen. Melde Mr Willoughby, dass ich ihn sehen möchte.”
“Sehr wohl, Miss Marianne.” Sie knickste abermals und entfernte sich.
Ich fragte mich, ob ich mich wohl auf die Suche nach Willoughby machen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Seine Tante war mir mit so unverhohlener Ablehnung begegnet, dass ich ihr nicht über den Weg laufen mochte. Sie würde unsere Verbindung nicht gutheißen und sicher dagegen intrigieren. Aber was sollte sie schon ausrichten? Willoughby war ein Mann mit festen Grundsätzen und Durchsetzungsvermögen, er würde sich auch gegen seine Tante durchzusetzen wissen.
Das Mieder war so eng, dass ich im Sitzen nicht atmen konnte und so ging ich im Zimmer auf und ab, sah aus dem Fenster und warf schließlich einen Blick in den Kleiderschrank, in dem prächtige Kleider und Abendroben hingen. Wem mochten sie gehört haben? War ich nicht die erste Frau, die Willoughbys Gastfreundschaft genoss? Brachte er des Öfteren Frauen in seinen Gästezimmern unter und war seine Tante mir deshalb so unfreundlich gesonnen?
Es klopfte
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