Schatten Blut
brauchte ich niemanden mehr Stärke vorzuspielen.
Wie lange ich im Halbdunkel gestanden und auf die Kerze gestarrt hatte, vermag ich nicht mehr zu sagen. Vielleicht waren es nur Minuten, vielleicht aber auch eine gute Stunde. Inzwischen hatte ich das Zeitgefühl völlig verloren. Umso mehr schreckte ich zusammen, als ich aus den Augenwinkeln eine leichte Bewegung bemerkte und abwehrbereit herumfuhr.
Sie ist frei, vernahm ich Darians Stimme in meinem Kopf und atmete erleichtert durch. »Entschuldige, dass ich dich erschreckt habe.«
»Ist schon gut«, gab ich zurück. »Wie lange stehst du schon dort?«
»Erst seit ein paar Minuten.« Matt lächelnd trat er zu mir und betrachtete die Kerze. »Wusstest du, dass Kerzen verlorenen Seelen den Weg ins Licht weisen können?«
»Nein. Ich hielt es bislang nur für einen schönen Brauch.«
Diesmal blickte er mich direkt an. »Viele Bräuche haben einen ernsten Hintergrund. Nur werden sie sehr oft missverstanden oder falsch gedeutet.« Er trat auf den Altar zu und stellte eine weitere Kerze neben die von Julie.
»Diese hier ist für dich, Faye«, meinte er und entzündete sie. »Damit du dich in der Dunkelheit niemals mehr verläufst. Sie wird dir immer den Weg nach Hause weisen.«
»Danke.« Ich lächelte gerührt. Noch nie zuvor hatte mir jemand eine Kerze gewidmet.
Darian nickte knapp. »Du kannst jederzeit hierher kommen. Wann immer du magst.« Damit wandte er sich zum Gehen, doch mein leiser Ruf hielt ihn zurück. »Darian?«
Fragend schaute er mich an und ich umfasste diese kleine Kapelle mit einer Geste. »Nutzt du sie oft?«
»Nein«, gab er offen zu. »Ich glaube nicht daran, dass Sünden durch Gebete rein gewaschen werden können. Ich glaube mehr an die Taten.«
»Du glaubst nicht an Gott?« fragte ich verwundert. »Warum hast du dann diesen Ort erhalten?«
Diesmal lachte er leise. »Mein Glaube beruht auf Wissen, Faye. Wäre der, den du Gott nennst, nicht existent, gäbe es solche Wesen wie mich nicht. Ich hatte die zweifelhafte Ehre, beide Seiten der Medaille sehen zu dürfen. Sowohl die Dunkelheit als auch das Licht.«
»Und nun stehst du genau dazwischen«, beendete ich fast flüsternd seinen Satz.
Abermals hörte ich ihn leise lachen. »Im Laufe der Zeit hatte ich Gelegenheit, mich daran zu gewöhnen. Und der Nutzen beider Seiten ist nicht unbeachtlich.« Er wandte sich ganz zu mir um und legte mir beide Hände auf die Schultern. »Lerne sie zu nutzen, Faye. Nur wenn du beide Seiten gut genug kennst, weißt du sie auch gewinnbringend einzusetzen. Es bedeutet Überleben in einer Welt, die sehr feindlich gesinnt sein kann.«
»Falls du mir Angst machen willst, ist dir das hervorragend gelungen, Darian!«
Für einen kurzen Moment berührten seine Daumen leicht meinen Hals, dann nahm er die Hände fort. »Nein, Angst lähmt und ist ein schlechter Ratgeber. Ebenso wie Hass und Wut. Ein wenig Furcht jedoch lässt uns vorsichtiger werden und unsere Absichten überdenken.«
»Zeigst du mir, was ich wissen muss?«
»Das werde ich. Morgen. Denn da beginnt dein Training, Faye.« Er küsste mich sanft auf die Stirn und wandte sich um. »Bleib nicht mehr allzu lange, es wird morgen ein harter Tag für dich.«
»Training? Was für ein Training?« rief ich ihm nach.
Darian winkte ab. »Morgen, Faye. Morgen.«
– Kapitel Neunzehn –
K eine Träume. Keine Visionen. Nur Schlaf. So tief und fest hatte ich in den letzten Tagen nicht mehr geschlafen. Ungewohnt erholt wachte ich am nächsten Morgen in diesem großen, bequemen Bett auf. Mit Elan warf ich die Decke zurück, stellte die Füße auf den angenehm weichen Teppichboden und huschte ins Badezimmer hinüber.
Waschen, Zähneputzen, Morgentoilette, alles schnell erledigt. Als ich zurück ins Zimmer kam, stutzte ich. Mein Bett war gemacht und mein grauer Jogginganzug lag frisch gewaschen und zusammengelegt auf der Truhe am Fußende des Bettes. Aber ich hatte weder Jemanden das Zimmer betreten noch verlassen hören.
Doch ich hatte meinen heiß geliebten Anzug zurück. Das alleine zählte! Erfreut trat ich näher, nahm das Shirt hoch und schnappte erstaunt nach Luft, als eine kleine, rosafarbene Rose aufs Bett fiel. Darian. Schmunzelnd nahm ich die Rose auf und roch daran. Und musste mich aufs Bett setzen. Beinahe wäre mir schwindelig geworden von dem intensiven Duft, den die Blüte verströmte. Ich hätte nicht gedacht, dass Buschröschen so stark duften konnten. Vielleicht im Verbund, aber einzeln?
Das
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