Schatten Des Dschungels
das Living-Earth-Team gearbeitet hat. Wir beugen uns über den Bildschirm und Pancake markiert einen Punkt im grünen Nirgendwo zwischen Venezuela, Brasilien und Surinam.
»Das Guyana-Schild – eins der letzten unberührten Regenwaldgebiete der Erde, echte Wildnis«, sagt Falk und seine Stimme klingt fast ein wenig ehrfürchtig. »Dort lebt ein Sechstel aller Tier- und Pflanzenarten, die es auf der Welt gibt.« Sein Finger bewegt sich auf der Karte nach Süden. »Weiter unten, am Amazonas, sieht’s schon ziemlich schlimm aus, überall Rodungen, eine Menge Wald ist bereits weg. Aber Guyana …«
»Wir werden es retten«, sagt Pancake fest. »Im April kommen wir weiter, you will see, Falcon. Wir schaffen es.«
»Du weißt, dass es nicht reicht, nur ein Stück Dschungel zu retten. Wenn der Wasserkreislauf zusammenbricht, ist es trotzdem aus.« Falks Stimmung ist umgeschlagen, er stützt den Kopf in die Hände und massiert sich die Schläfen.
»Wieso das?«, frage ich überrascht.
»Der Regenwald macht sich sein eigenes Klima«, erklärt Falk. »Die Bäume verdunsten eine Menge Wasser, daraus bilden sich Wolken, es regnet … und so weiter. Wird irgendwo, zum Beispiel in Südamerika, zu viel Dschungel gerodet, dann reicht die Verdunstung nicht mehr und es regnet kaum noch. Dann stirbt auch der restliche Regenwald ab und wächst nie wieder nach, man könnte ihn nicht mal neu anpflanzen.«
»Man schätzt, dass die kritische Schwelle bei 40 Prozent des ursprünglichen Regenwalds liegt«, ergänzt Pancake.
Ich fürchte mich vor der Frage, aber ich muss sie stellen. »Und wo stehen wir heute?«
»Bei 45 Prozent«, sagt Falk bitter. »Es kann jedes Jahr so weit sein, dass dort drüben – und in anderen Ländern mit tropischem Regenwald – das Klima kippt.«
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Das war immer mein Traum: einmal den Amazonas-Regenwald zu sehen. Aber wie es aussieht, könnte das ein unerfüllbarer Traum bleiben, weil vielleicht bald nichts mehr da sein wird, was man sich anschauen könnte. Wir schweigen eine Weile, dann fällt mir ein, was Pancake vorhin gesagt hat. »Im April gibt es also wieder eine Expedition von Living Earth nach Guyana?«, frage ich gespannt. Als beide nicken, durchpulst mich die Aufregung, ich kann kaum noch stillsitzen. »Was für Leute dürfen da so mit? Hätte ich Chancen?«
Pancake und Falk tauschen einen Blick, den ich nicht deuten kann. Dann sagt Falk: »Wir werden sehen.«
Was bedeutet die ausweichende Antwort? Dass ich nicht qualifiziert genug bin? Vermutlich. Mist! »Früher hätte ich sowieso zu viel Angst vor Malaria gehabt«, gebe ich zu. »Aber seit es dieses neue Heilmittel gibt, ist ja alles okay.«
Inzwischen gibt es nicht nur was gegen Malaria, sondern sogar gegen den HI-Virus. Das Zeug war vor zwei Jahren die totale Sensation, Forscher haben die Substanz in einer Pflanze aus Brasilien entdeckt. Seither sterben nicht mehr Millionen Menschen jährlich an Malaria und Aids, sondern nur noch ein paar Tausend.
Als ich das Malariamittel erwähne, verziehen Falk und Pancake das Gesicht, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. »Das Zeug ist schuld daran, dass der Dschungel noch schneller verschwindet«, sagt Falk. »Seither drängen noch mehr Leute als vorher in die Regenwälder und brennen sich dort Platz für Felder frei. Vor Malaria müssen sie sich ja nicht mehr fürchten.«
Diesmal bin ich es, die eine Grimasse zieht. »Das heißt, was für uns gut ist, ist leider mies für die Natur?«
»Sie ist ziemlich schnell von Begriff«, meint Pancake anerkennend zu Falk, nimmt unsere Teller und trägt sie in Richtung Spüle. Ich muss grinsen.
Falk holt ein abgewetztes Lesegerät aus einem Rucksack, ruft einen Spiegel -Artikel auf und zeigt ihn mir. Es geht um den Kampf gegen die Tsetsefliege in den Savannen Afrikas. Nur Wildtiere sind immun gegen die Schlafkrankheit, die sie überträgt, für Menschen und Rinder dagegen ist sie sehr gefährlich. Schnell überfliege ich ein paar Zeilen. »Weite Teile besten afrikanischen Weidelandes liegen brach, weil das Insekt dort wütet«, sagt der Entomologe Udo Feldmann. »Nur wo die Tsetsefliegen vollständig verschwinden, ist nachhaltige Entwicklung möglich.«
Mehr brauche ich gar nicht zu lesen, ich ahne schon, warum Falk mir den Artikel gezeigt hat.
»Vielleicht ist die Tsetsefliege ein Segen.« Falk lehnt sich ein wenig vor, während er es sagt, und ich schaffe es nicht, den Blick von seinen hellen Augen
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