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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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wir Plätzchen an Anjas großem Küchentisch. Lilli sitzt auf Anjas Schoß und patscht mit ihren kleinen Händchen auf dem Teig herum. Ich rolle aus, und zusammen stechen wir Figuren aus. Als sie im Ofen backen, zieht der Keksduft durch die Küche. Lotti glasiert die noch heißen Plätzchen mit rosa Zuckerguss. Fabian hätte die Nase gerümpft. Ich erinnere mich daran, wie er einmal darauf bestanden hat, Weihnachtsengelplätzchen schwarz zu glasieren. Batmanplätzchen sind das, hat er gesagt. Das Plätzchen, an dem ich gerade knabbere, verhakt sich in meinem Hals. Und auch die Teigklümpchen und Plätzchenreste, die ich vorher genascht habe, fühlen sich mit einem Mal ganz falsch in meinem Magen an. Mir wird kotzübel. Hastig verabschiede ich mich, die Hand vor den Mund gepresst. In unserer Wohnung laufe ich ins Bad. Würge die gesamten Überbleibsel der Plätzchenaktion in die Kloschüssel, zusammen mit der Kartoffelsuppe und dem Früchtetee. Jetzt weiß ich, warum Thursen, Norrock, Karr und Sjöll als Werwölfe essen. Mit Tier-Gedanken im Kopf.
    Von dem Erbrechen ist mein Mund ganz eklig. Ich spüle ihn aus, putze mir die Zähne. Dann, als das noch nicht reicht, dusche ich. Stehe unter einer Glocke aus rauschendem Wasser und reibe mich mit Duschgel ein. Parfümfrei, bloß nicht noch etwas zum Riechen. Mein Körper fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal richtig gegessen habe. So mit vorher Appetit haben und hinterher satt sein. Mein Gefühl stimmt nicht mehr, irgendwann ist mir die Verbindung zu meinem Körper verlorengegangen. Wie eine Uhr, die aus dem Rhythmuskommt und sonst was anzeigt, nur nicht die richtige Zeit. Ich bin nicht hungrig. Mein Magen ist doch schon voll. Aller Kummer sammelt sich dort. Klumpt sich zu einem riesigen Stein zusammen. Noch einmal lasse ich das Wasser über mich laufen, spüle die letzten Seifenreste weg, dann trockne ich mich ab. Ich werde dünner. All meine Ecken und Kanten, bisher freundlich gepolstert, kommen jetzt ans Licht. Der Föhn stellt die Außenwelt ab, summt pustend meine Haare trocken.
    In meinem Zimmer suche ich frische Sachen zum Anziehen und finde keine. Irgendwann höre ich meine Eltern kommen. Stehe immer noch vor dem Spiegel und hasse mich. Die Shirts und Pullover hängen an mir herab wie nasse Gardinen. Noch dringender brauche ich eine neue Hose. Ist die uralte mit dem Loch am Saum die einzige, die mir noch halbwegs passt? Alle anderen rutschen mir trotz Gürtel von den Hüften. Wie soll ich zur Schule gehen?
    Mein Vater öffnet Post mit einem Kugelschreiber, als ich ins Wohnzimmer stürme, die Jeans mit einer Hand im Bund gerafft. Ich brauche eine Hose. Jetzt. Sofort. Heute noch.
    «Ich brauche eine Hose», rufe ich, so laut, dass es auch meine Mutter in der Küche hört.
    Vati zieht einen Stapel schmale Zettel aus dem Umschlag, sieht ihn durch. «Jetzt lass mich doch erst mal sehen, was in der Post ist!», stöhnt er.
    «Ich brauche eine Hose! Für die Schule morgen.»
    «Du hast Hosen.» Er hört mir gar nicht richtig zu, ich kenne diesen Tonfall. Wahrscheinlich liest er gerade etwas, das ihn viel mehr interessiert als seine Tochter. «Bemüht euch nicht. Ich brauche nur das Geld. Ich geh selbst.»
    «Du hast Hausarrest», sagt mein Vater, hockt sich vor den Schrank und zieht einen Ordner aus dem untersten Fach. «Du kannst nicht einfach shoppen gehen.»
    «Ich will mir nicht die Zeit vertreiben, ich brauche verdammt nochmal eine Hose!»
    Ich wende mich an meine Mutter, die mit einem gefüllten Tablett aus der Küche kommt. «Mama?»
    Meine Mutter stellt das Tablett auf den Tisch, teilt die Teller aus, die Messer, seufzt. «Ich bin total fertig. Können wir nicht am Wochenende für dich einkaufen gehen?»
    Mein Vater hat den Ordner auf dem Tisch und schlägt ihn auf.
    «Und du, Vati? Hallo! Kannst du mich auch mal ansehen?» Ich ziehe am Ordner, in dem mein Vater so angestrengt blättert. Er knallt ihn zu, dass er mir fast die Finger klemmt, und starrt mich wütend an. «Hier!», sage ich und zerre den Hosenbund mit dem Daumen von meiner Hüfte weg, dass er eine Handbreit absteht, «seht ihr das? Die sind alle so!»
    «Was soll das, Luisa?», fragt meine Mutter. «Wieso hast du so abgenommen?»
    Sie tut so, als sei ich magersüchtig! Als würde ich das mit Absicht machen! Das passiert eben einfach. Ich zucke die Schultern. «Keinen Hunger?»
    «O Gott, wann hört das bloß auf?», stöhnt meine Mutter, stellt Butter, Brot, Käse auf den

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