Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
Zinnen der Burg und lagen wie schimmernde Kristalle auf den Kuppen der Hügel.
    Alina hatte lange am offenen Fenster gestanden, die Augen auf die Raben gerichtet, die eng aneinandergeschmiegt auf dem Torgebäude hockten. Sie schienen zu schlafen, doch immer wieder erwachte einer von ihnen, schlug mit den Flügeln, um den Nebenmann beiseitezuschubsen, dann gab es für kurze Zeit ärgerliches Gekrächze und Gerangel, bis sich die Streithähne wieder beruhigt hatten. War Fandur unter ihnen? Sah er jetzt zu ihr herüber? Sie hatte die Laterne, die Macha ihr ins Zimmer gestellt hatte, vorsichtshalber gelöscht, denn sie wusste, dass er das Licht scheute. Schließlich wandte sie sich ab und setzte sich auf ihr Bett, denn sie fürchtete, ihn von seinem Besuch abzuhalten, wenn sie am Fenster stand.
    Stunden vergingen, und sie starb fast vor Ungeduld. Weshalb säumte er so lange? Sie fühlte sich unendlich einsam und sehnte sich nach ihm, nach seiner warmen Stimme, seinen samtschwarzen Augen, seiner sanften Zärtlichkeit. Gewiss auch nach seinen schlauen Antworten und seiner Spottlust. Nach den seltsamen Worten, die er leise murmelte, und die so traurig und zugleich voller Liebe waren.
    Liebte sie ihn? Den Rabenkrieger, der sie gestern Nacht auf seinem gefiederten Rücken getragen hatte? Dessen Hände sie so glühend heiß auf ihrer Haut gespürt hatte? Wenn es Liebe war, die sie zu ihm hinzog, dann musste er wohl Recht mit seinem dummen Lied haben, denn es war schmerzhaft und kummervoll, ihn zu missen.
    Mitternacht war lange vorbei, schon war der Mond zum Horizont hinabgesunken, und das glänzende Gefolge der Sterne wollte verblassen. Bald würde der erste Lichtstreif des beginnenden Tages die nächtlichen Himmelskörper endgültig zum Verschwinden bringen – weshalb kam er nicht? Er hatte es ihr doch versprochen!
    Zornig warf sie sich in ihr Bett, umarmte das Kopfpolster und hätte es gern zum Fenster hinaus nach den schlafenden Raben geworfen. Auch er hatte gelogen! Auch er war wortbrüchig geworden. Gab es denn auf der ganzen Welt kein einziges Wesen, dem man vertrauen konnte?
    Sie musste eingeschlafen sein, denn als sie die zarte Berührung verspürte, wusste sie zunächst weder, wo sie sich befand, noch wessen Hand auf ihrer Schulter lag.
    »Alina. Meine Herrin. Ich bin bei dir«, flüsterte seine Stimme.
    Sie regte sich nicht, gab sich dem heißen Glücksempfinden hin, das ihren ganzen Körper durchströmte. Langsam drehte sie sich auf den Rücken und blickte in sein Gesicht. Wie zerzaust er aussah, in dichten Büscheln stand das schwarze Haar von seinem Kopf ab, als habe er es im Zorn gerauft. Doch seine Augen glänzten voller Zärtlichkeit, und sein Mund lächelte.
    »Verzeih mir – ich wurde aufgehalten«, sagte er und setzte sich keck auf ihre Bettkante. »Nun wird es schon zu spät sein.«
    Er hatte die Hand nicht von ihrer Schulter genommen, jetzt schob er sie vorsichtig unter ihrem Nacken hindurch. Sacht hob er ihren Kopf ein wenig an und neigte sich zu ihr herab, ließ sie seine Wärme atmen, seinen fremden Duft, die Zaubermacht seiner dunklen Verführungskraft.
    »Zu spät, dein Versprechen einzulösen?«
    »Der Tag ist zu nah, meine süße Herrin …«
    Seine Lippen berührten jetzt fast die ihren, eine zitternde Spannung stand zwischen ihnen, eine Magie, die sie zueinander hinzog. Schon sprühten winzige Fünkchen auf – doch Alina zerriss die zärtliche Nähe.
    »Du willst also dein Wort brechen, Rabe!«
    Er musste die Verachtung in ihren farbigen Augen gelesen haben, denn er richtete sich wieder auf und tat einen tiefen, enttäuschten Atemzug.
    »Ich halte mein Wort, Alina«, sagte er unwillig. »Aber es könnte gefährlich werden, wenn wir jetzt noch die weite Fahrt antreten.«
    »Du hast also Angst!«, spottete sie.
    »Nicht um mich.«
    Sie setzte sich ebenfalls auf, warf das lange Haar zurück und umfasste die angewinkelten Knie. Das war eine Haltung, die sie als kleines Mädchen oft eingenommen hatte, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Sie kräuselte die Nase und sah ihn mit schmalen Augen von der Seite an.
    »Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen. Es gibt eine ganze Menge Leute auf dieser Burg, die sehr froh wären, mich loszuwerden. Aber gut – wenn du so furchtsam bist, dann lassen wir es eben sein.«
    Er schwieg eine Weile, sah unschlüssig zum Fenster hin, dann blickte er wieder auf Alina, die in ihrer Haltung verharrte und ihn nicht aus den Augen ließ. Ihre Worte hatten ihn getroffen,

Weitere Kostenlose Bücher