Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
zurück, sondern auch, weil es mir leid tat, dass ich so weggerannt war. Ich wollte das Mädchen wiedersehen.
Auf dem Dachboden stand ein Sack mit ausrangierten Sachen. Ma ließ ihn immer dort stehen, bis das Rote Kreuz eine Kleideraktion ankündigte. Dann stellte sie ihn vor die Haustür. Draußen war gerade ein Handwerker dabei, die alten verschnörkelten Buchstaben Zum Anker abzumontieren. Sie sollten mit Neonlichtbuchstaben in Pink und Blau ersetzt werden. Ich kramte in dem Sack herum.
Aus dem Dachbodenfenster hörte ich, wie Ma und Ina sich draußen unterhielten. „Ich freu mich wirklich, dass wieder Tanz sein wird an den Wochenende“, sagte Ma. „Papa und ich haben das einfach zu selten gemacht.“
„Kein Tanz, Marie“, sagte Ina. „Disko! Zu einem Tanznachmittag kannst du heute keinen mehr hinterm Ofen vorlocken.“ Sie lachte. „Carsten hat das Mischpult schon bestellt. Mit einem Kassettenrekorder Musik zu machen, ist wirklich ein Witz!“
„Es ist gut, dass ihr etwas Schwung reinbringt“, sagte Ma.
„Hier ist die Zeit ja auch wirklich stehen geblieben“, hörte ich jetzt Carsten. „Na ja, nicht nur im Anker , eigentlich überall hier. „Wie habt ihr den Saal überhaupt beleuchtet? Mit dem Lüster?“
Ha, da war sie! Meine alte Jacke! Die tarngrüne, die mir an den Ärmeln zu kurz geworden war.
„Womit denn sonst?“, fragte Marie erstaunt.
„Direktes und stetiges Licht beim Tanzen ist der Tod!“, klärte Ina sie auf. „Heute hat man bewegliches Licht. Damit kommt Dynamik in die Sache.“
„Man darf den Anschluss nicht verpassen“, bestätigte Carsten. „Das machen die Jugendlichen nicht mit. Die sind doch die wichtigste Zielgruppe. Und die wollen was erleben. Wenn man da mit ’ner Technik wie für ’n Rentnertreff anrückt, kommen die nur einmal und dann nie wieder …“
„Wir haben gedacht, wir bauen eine professionelle Lichtanlage ein“, sagte Ina.
„Wenn ihr meint“, sagte Ma.
„Farbiges Licht“, sagte Carsten, „Stroboskoplicht. Und eine Lichtkugel, die bewegliche Lichtspuren durch den Saal zieht.“
Ich hörte nicht mehr hin. Ich schnappte mir die Jacke, schlich nach unten und durch den Kücheneingang aus dem Gasthaus. Ich lief über die Wiesen nach Halbreich und wartete. Dann wanderte ich einmal um den Weiher herum. Ich rief nach dem Mädchen, und da erst fiel mir auf, dass ich nicht mal ihren Namen wusste.
Am Ende ließ ich die Jacke in Halbreich hängen. Nach dem Abendessen ging ich aber noch einmal hin. Als ich die Weidenzweige von Halbreich aufschob, war die grüne Jacke weg und meine rote hing an dem Ast. Sie war über und über mit Blättern und Tannennadeln beklebt, als wäre das Mädchen damit auf die Bäume geklettert. Oder als hätte sie sie absichtlich durch den Dreck geschleift, um eine Tarnjacke daraus zu machen. Es war mir egal. Wozu gab es Waschmaschinen? Erleichtert zog ich sie an und steckte die Hände in die Taschen. Meine Finger ertasteten einen Zettel. Ich zog ihn heraus.
Die grüne Jacke passt gut. Danke. Polly
- - -
Ina stand gerade auf einer Leiter und bemalte eine Wand im Schankraum mit blauen Flecken, als ich hereinkam. Sie sah mich an, die total verdreckte Jacke, ließ den Pinsel in den Eimer fallen und kam zu mir gelaufen.
Sie war wütend. Sie griff mich an den Schultern und schüttelte mich: „Das kann doch nicht wahr sein! Das Ding kostet ein Vermögen, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich damit im Dreck zu suhlen!“ Erst wollte ich protestieren, aber dann war es mir einfach zu aufwändig. Sie würde mir sowieso nicht zuhören. Ich schwieg. Sie zwang mich, die Jacke auszuziehen, starrte auf die Moderflecken und die Grasspuren, roch an der Jacke und hob dann den Kopf: „Du hast es schon wieder getan“, sagte sie. „Das hier ist Schlamm vom Weiher!“ Sie zeigte auf einen Ärmel. „Du warst da, obwohl wir es dir verboten haben! Milana, das geht so nicht!“
Ich bekam Fernsehverbot.
Ich hätte vielleicht dagegen rebellieren sollen. Aber Fernsehen hatte mich noch nie besonders interessiert. Ich guckte zwar hin und wieder mal einen Film mit, doch ich war viel lieber draußen. Trotzdem hätte ich ins Wohnzimmer gehen, mit dem Fuß auftreten und lärmend auf mein Recht bestehen sollen. Ich hätte Ina wegstoßen und Carsten in den Arm beißen sollen, wenn sie versucht hätten, mich aus dem Wohnzimmer zu schieben. Es wäre eine heftige Szene mit Schreien und Tränen gewesen, und vielleicht hätte es eine Art Rettung
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