Schattengold
und zahlt pünktlich. Ich kann mich nicht beschweren. Ich mag ihn, weil ich weiß, dass er an seinen Goldschmiedearbeiten hängt, als wären sie seine Kinder. Er muss sie mehr lieben als seinen eigenen Sohn. Er kann sich nicht von ihnen trennen. Einmal sah ich sogar, wie er einen bereits verkauften Gegenstand wieder in der Hand hielt und ihn zärtlich streichelte. Vielleicht hatte der Käufer ihn zurückgegeben, weil er die hohe Kaufsumme nicht aufbringen konnte.
Manchmal schließt er sich tagelang in seine Bibliothek ein und ruft mich nur, wenn er eine Erfrischung haben will. Dann wieder gibt es Wochen, wo er sich überhaupt nicht im Hause blicken lässt. Die gnädige Frau kann ich ja nicht danach fragen.
Überhaupt ist das eine komische Bibliothek. Gestern brachte der Briefträger ein kleines Büchlein, das der gnädige Herr wohl übers Internet bestellt hatte. Es fiel aus dem eingerissenen Umschlag, als ich den Briefkasten öffnete. Auf dem Umschlag stand: ›Friedrich Gerstäcker: Germelshausen.‹
Ich blätterte ein wenig in dem Band herum und stieß auf eine merkwürdige Stelle:
›»Und wie weit hab ich von hier nach Germelshausen?«
»Wohin?«, rief der Jäger und nahm erschreckt seine Pfeife aus dem Munde.
»Nach Germelshausen.«
»Gott sei mir gnädig!« sagte da der Alte, während er einen scheuen Blick umherwarf – »den Wald kenn ich gut genug; wie viel Klaftern tief im Erdboden drinnen aber das verwünschte Dorf liegt, das weiß nur Gott – und – geht unsereinen auch nichts an.«
»Das verwünschte Dorf?«, rief Arnold erstaunt.
»Germelshausen – ja«, sagte der Jäger. »Gleich da drin im Sumpfe, wo die alten Weiden und Erlen stehen, soll es vor so und so vielen 100 Jahren gelegen haben, nachher ist es weggesunken – niemand weiß, warum und wohin, und die Sage geht, dass es alle 100 Jahre an einem bestimmten Tage wieder ans Lichte gehoben würde – ich möchte aber keinem Christenmenschen wünschen, dass er zufällig dazukäme. – Aber zum Wetter noch einmal, das Nachtlager im Busche scheint Ihnen nicht gut zu bekommen. Sie sehen käseweiß aus. Da – nehmen Sie einmal einen Schluck aus der Flasche hier, der wird Ihnen gut tun – nur ordentlich!«
»Ich danke.«‹
Der Text erinnerte mich an den Film ›Brigadoon‹, den ich neulich im Kommunalen Kino gesehen habe. Was will denn der Meister mit einer Märchenerzählung?
Ich musste ihm das Büchlein in die Bibliothek bringen, und bei der Gelegenheit sollte ich dort tüchtig Staub wischen, während er sich vorn im Laden um seine Kundschaft kümmerte. So hatte ich endlich einmal Gelegenheit, diesen Raum, den ich nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Meisters betreten darf, genauer unter die Lupe zu nehmen.
An allen Wänden standen zimmerhohe Regale, vollgestopft mit Büchern, Zeitschriften und allerlei technischem Kram. Dass ein Mensch so viel lesen kann! Ich habe nur meine Kinoprogrammhefte, die ich sorgfältig sammle.
Die meisten Buchtitel konnte ich gar nicht entziffern. Sie waren in ausländischer Schrift. Das Einzige, was ich wiedererkannte, waren eine Bibel und das Telefonbuch.
Links ein völlig verstaubtes Regal voller alter Schinken. Komische Namen standen da: Victor Hugo – gleich mit über einem Dutzend Bänden vertreten, E. T. A. Hoffmann – eine alte und abgegriffene vierbändige Ausgabe mit Ledereinband, Oscar Wilde – Gesammelte Werke, Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, siebenbändig, Edgar Allan Poe – Erzählungen in zwei Bänden, Jules Verne – Ausgewählte Werke in 20 Bänden, Robert Louis Stevenson – Novellen, H. G. Wells – Romane und Erzählungen.
Rechts befanden sich nur Bücher über die Uhrmacherei. So viel Technik auf einem Haufen! Da waren auch neue Bücher über Feinmechanik, Hydraulik, elektrische Motoren und Computersachen. Davon habe ich überhaupt nichts verstanden. Da gab es aber auch nicht viel Staub. Die nimmt er wohl öfter in die Hand.
An der Stirnseite häufte sich auf den Regalen ein Berg von Büchern und Aktenordnern, die offenbar nur mit Afrika zu tun haben. Senegal, Kongo, Madagaskar, Sansibar.
Aber auch Indien war vertreten, Indonesien und Polynesien. Das meiste davon war in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Das kann weder Englisch noch Französisch, weder Deutsch noch Italienisch, noch Spanisch sein. Die vielen Bildbände zeigten irgendwelche Sitten der Eingeborenen. Wahrscheinlich braucht der Meister diese Bücher, um sich für seine
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