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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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zum Zerreißen gespannt. Die Narbe glühte weiß auf und ich hörte, wie das Metall allmählich nachgab und ächzte.
    Noch immer konnte ich den Blick nicht abwenden, als die Gestalten in den Roben den Kopf der Kleinen zurücklegten und die verletzliche Kehle im rauchigen Zwielicht hell schimmerte. Jemand musste noch mehr Gewürze in die glühenden Kohlen geschmissen haben. Die Luft war erfüllt von sirrender Sphärenenergie, und der dicke Golddraht raunte, während er sich in immer neue Formen verdrehte, wie grelles gleißendes Feuer, das sich in Schlangenlinien und Wellen durch den Granitboden und das Betongemäuer bohrte.
    Die Sorrow benutzen geschwungene Klingen. Gebogene schwarze Schneiden aus Obsidian, in deren Blutrinnen goldene Ornamente eingelassen waren.
    Ich brüllte, als das Messer sich senkte. Mein Schrei nahm physische Gestalt an und donnerte durch den Weihrauch, während mein Rücken sich durchbog wie bei einem lustvollen Orgasmus. Mit jedem letzten bisschen mentaler und körperlicher Kraft stemmte ich mich gegen meine Fesseln, gab alles, drückte und riss am metallenen Gefängnis, das meine Knöchel umschloss. Meine linke Schulter knackte, Sehnen wurden brutal gezerrt, Gelenke beinahe ausgerenkt, bis das Eisen schließlich quietschte und der Fels brodelte. Mit einem gewaltigen Donnerschlag schoss die Hitze, reflektiert von der Oberfläche des Altars, durch die Kälte des Gewölbes.
    Inez Germaine Ayasha lachte und sprach das Wort auf Chaldäisch, das die dritte Phase in Gang setzte und die drei Kreise zum Leben erweckte.
    Dann brach das Chaos über uns herein.
    Ich glaube, ich verlor das Bewusstsein. Zumindest kurz. Aber dieser Moment umschloss ein ganzes Leben.
    Finsternis umgab mich, erstickte mich, drückte sich auf mich. Etwas Pralles presste sich auf perverse Art gegen die Oberfläche der physischen Welt. Zeit und Raum schienen sich zu dehnen, der schwarze Spiegel wölbte sich wie eine reife Pestbeule, die kurz vorm Platzen war, als Etwas, das seine Chance witterte, mit aller Kraft darum kämpfte, sich hindurchzupressen. Darum kämpfte, die ätherische und physische Realität zu zerreißen, die Grenzen zwischen den Welten zu durchbrechen und einzutreten. Viel Arbeit hatte es gekostet, diesen Augenblick vorzubereiten, viel Mühe und Qual, und es gab einen Körper, der bereit war, ES aufzunehmen. Eine Gebärmutter, die alles Mögliche enthalten konnte, formte sich, stockte, drehte sich … und kippte.
    Es war, als würde sich das Köpfchen eines Babys absenken, bevor die Wehen einsetzen. Die Mutter holt noch einmal tief Luft, schmerzfrei für einen letzten Augenblick und noch nicht ahnend, dass die Qualen der Geburt ihr unmittelbar bevorstehen.
    Und dann drückte es.
    Ein animalischer, unmenschlicher Schrei, jenseits alles Begreiflichen, entfuhr mir. Es war, als würde mir jemand die Eingeweide mit scharfen gläsernen Klauen zerfetzen. Mir war, als hätte jemand einen Schleier beiseite gezogen und als blickte ich nun dem nackten Antlitz der Existenz selbst ins Gesicht, das mich anzüglich angrinste.
    Vielleicht war es so.
    Das Brüllen war das eines Tieres, trotzdem formten sich darin Worte, und zwar in einer Sprache, die nicht mehr gesprochen worden war seit dem großen Krieg zwischen den chaldäischen Göttern und den Imdarak, den Herren der Bäume. Die Imdarak waren nicht länger, ihr Sieg gegen die Chaldäer, die sie in die Verbannung zwangen, war extrem teuer erkauft. Wir Jäger raunten uns diese Geschichte, die als ein Teil unseres Erbes von Generation zu Generation weitergegeben wird, in dunklen Nächten zu. Und trotzdem brüllte ich in ebendieser Sprache, quälte meine Stimmbänder, bis die Schreie allmählich in langes, heiseres Gluckern übergingen, als man mir die Kehle aufschlitzte.
    Dann drückte es sich mit einem unfassbaren Gewicht auf mich und versuchte, in mich einzudringen, mich gleichzeitig zu zerdrücken und auszufüllen, wie siedender Wein, der den Krug, in den er gegossen werden sollte, bersten ließ. Oder Lava, die sich durch sprödes Gestein einen Weg bahnte. Wollte sich den Einlass in mich erzwingen, von mir Besitz ergreifen.
    Doch etwas in mir widersetzte sich. Für eine Kreatur dieser Größe ein unnachgiebiges Stückchen Alufolie zwischen den Zähnen, eine winzige nervige Bazille, ein Mückenstich. All die Exorzismen, die ich bisher durchgeführt hatte – hatte es sich für die Opfer so angefühlt? Schlösser wurden zerdrückt, Schubladen aufgerissen, meine mentale

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