Schattenjagd
sich den hüftlangen Mantel auszuziehen, sondern schüttelte ihn im Laufen ab. Er hatte sich erst vor Kurzem verwandelt, ich konnte es am leuchtenden Wirbeln in seiner Aura sehen. Ein besonders tiefes drohendes Knurren ging von ihm aus. Die Muskeln unter seinem T-Shirt spannten sich an, er war bis zu den Zähnen bewaffnet und hatte auf beiden hohen, wunderschönen Wangen dunkle Kriegsbemalung aufgetragen.
Mit einem finsteren Blick und leicht gefletschten Zähnen nahm er mich Perry ab. Perry ließ es geschehen, und mit nur ein paar Handgriffen hatte mich Saul von den übrigen Ketten befreit und mir seinen Mantel übergeworfen. Sein sauberer Moschusduft und seine Wärme hüllten mich ein. Endlich hatte ich das Gefühl, wieder aus eigener Kraft gehen zu können, aber trotzdem lehnte ich mich an ihn. In seinem Mantel ging ich fast unter, die Ärmel hingen mir weit über die Fingerspitzen, und der untere Saum ging mir bis über die Knie. „Herrgott“, flüsterte er mir ins Haar. Dann fluchte er zügellos in kehligem Puma. „Geht’s dir gut? Bist du okay?“
Nein, Saul, ganz und gar nicht. Aber es gab Arbeit zu erledigen. „Wie viele Tote sind es? Theron? Wie viele?“
„Zehn, Jägerin“, antwortete Theron grimmig. „Und zweien geht es ziemlich dreckig – werden es nicht mehr lange machen.“
„Zeig … Zeig sie mir“, röchelte ich, und mein Hals brannte wie Feuer. Nichts wollte ich mehr, als mich in Sauls Arme sinken zu lassen und zu heulen. Ich sehnte mich nach Besinnungslosigkeit, wollte nichts mehr mitbekommen von diesem finsteren Sog, der mich zu verschlingen drohte. „Eine ist noch übrig. Ihr müsst sie finden. Und wahrscheinlich gibt es weitere Gefangene. Stellt dieses Loch hier auf den Kopf, aber geht um Himmels willen nicht alleine, sondern immer wenigstens zu zweit. Wie viele Leute haben wir auf unserer Seite?“
„Zwanzig bis dreißig, Boss. Ein Suchtrupp ist bereits unterwegs und sieht sich nach Überlebenden um. Lass uns nur machen.“ Und damit tat Theron die Angelegenheit mit einer eleganten Bewegung seiner klauenbewehrten Hand ab.
Saul setzte mir einen silbernen Flachmann an die Lippen. Feuriger Brandy rann meinen Hals hinab und löste in meinem leeren Magen ein wahres Feuerwerk aus. Ich musste würgen und schaffte es, mir mit einer Hand den Mund abzuwischen, während Saul mich hochhob und überschwänglich umarmte. „Julian“, flüsterte er, sein Atem wehte mir warm gegen die Schläfen. Der Griff einer Pistole piekte mir in die Rippen, was für ein wohltuendes Gefühl! Jetzt ging es mir schon ein wenig besser.
Ein bisschen. Aber nicht viel. Noch immer hätte ich am liebsten losgeschrien. Aber ich unterdrückte die Versuchung. Stattdessen fing ich an, vor Entkräftung wie Espenlaub zu schlottern. Ich hab’s überlebt. Bin am Leben. „Zeig sie mir.“ Ich muss sie sehen. Ich muss!
Perry fing wieder an zu lachen, ein bitterer, schwacher Klang. „Keine Angst, Kleines. In der Dunkelheit sind diese Vipern höchst gefährlich, doch fiat lux, und sie sind verletzlich wie Maden.“ Er stand in einigem Abstand, die Hände in den Taschen vergraben und mit eingezogenen Schultern. „Belisa ist nicht dabei. Aber dafür die Königsviper.“
Saul trug mich zu den zusammengesackten Leichen. Zwei der Werwesen waren damit beschäftigt, sie methodisch zu untersuchen. Ein feuchtes Knacken ertönte, als sie ihnen das Genick brachen. Werwesen legen Wert darauf, ihre Arbeit gründlich zu machen. Danach suchten sie die Körper nach Zeichen ab – es waren allesamt Sorrow, wahrscheinlich sogar Hohepriesterinnen.
Großer Gott, das war knapp gewesen. Mehr als knapp.
Ich hätte sterben können. Oder noch Schlimmeres – mit Sicherheit sogar. Es wäre schlimmer gewesen als der Tod.
„Irgendwelche Opfer?“ Meine Stimme war eine heisere Katastrophe – ich hatte sie mir ruiniert, als ich brüllend auf dem Altar gelegen hatte. In meinem Kopf hallte noch immer das dreckige chaldäische Kreischen nach. Diese Erinnerung wieder von mir zu stoßen, kostete mich so viel Kraft, dass ich abermals bibberte. Bitte, lieber Gott, sei gnädig. Sag mir, dass hier niemand sterben musste, nur um meinen dämlichen Arsch zu retten.
Einer der Geparden warf mir über die Schulter einen Blick zu. „Nicht auf unserer Seite. Keiner von denen hat mit uns gerechnet, sie standen alle mit dem Rücken zu uns und hatten nicht einmal Wachen aufgestellt.“ Es war ein durchtrainiertes, hochgewachsenes Weibchen, in dessen Ohren lange
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