Schattenjahre (German Edition)
wenn wir uns nicht getroffen hätten.“
Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann antwortete er: „Das meinst du nicht ernst, und versuch bloß nicht, mir einzureden, du würdest meine Gefühle nicht erwidern. Du weißt genauso wie ich …“
Sie musste ihn unterbrechen. Wenn sie ihm erlaubte, weiterzusprechen, würde es beide nur noch unglücklicher machen. „Ich bin verheiratet“, erinnerte sie ihn tonlos, „und ich habe einen Sohn.“
„Du gehörst zu mir“, widersprach er entschieden. „Jetzt und für alle Ewigkeit. Das spürte ich bereits, als ich dich zum ersten Mal sah. Was glaubst du wohl, warum ich in diesem Dorf herumhänge und mich wie ein Narr benehme! Keine zehn Pferde bringen mich weg von hier. Ich wusste, dass ich dir heute auf diesem Berghang begegnen würde. Das hat mir dein Schäfer verraten. O Gott, Liz, nach allem, was ich durchgemacht habe, kann ich unser Glück kaum fassen. Versuch nicht, mich wegzuschicken, denn ich werde nicht gehen. Und erzähl mir auch nicht, du würdest Edward lieben“, forderte er sie heraus. „Das würde ich dir niemals glauben.“
„Aber ich liebe ihn“, sagte sie traurig. Und es stimmte. Sie liebte Edward – nicht so, wie eine Frau instinktiv und leidenschaftlich den Mann liebt, den das Schicksal für sie vorgesehen hat. Nein, die Liebe zu Edward war einer Notwendigkeit entsprungen und erfüllte für beide Teile einen Zweck. Er hatte ihr geholfen, als sie völlig hilflos gewesen war, und das würde sie ihm nie vergessen.
„Liz, bitte.“
Sie wandte sich zu Lewis – unfähig, dem flehenden Klang seiner Stimme zu widerstehen. Weil sie nebeneinander im Gras saßen, trat der Größenunterschied nicht so deutlich hervor, und ihr Blick tauchte auf gleicher Höhe in seine grünen Augen, um die der australische Sonnenschein feine Fältchen gegraben hatte. Aber die Haut spannte sich straff um die ausgeprägten hohen Wangenknochen.
Eine gebräunte Hand umschloss ihre Finger. Er hatte das Jackett ausgezogen, die Hemdsärmel hochgekrempelt, und ein gefährliches Verlangen stieg in Liz auf, als sie die harten Muskeln seines Unterarms betrachtete. Von diesen Armen umfangen, von diesen Händen liebkost, eins mit diesem Körper zu werden – das würde sie völlig überwältigen, sodass sie es niemals fertigbringen könnte, ihn wegzuschicken.
Und obwohl sie abwehrend eine Hand hob – in einer stummen Bitte, er möge beenden, was eben erst begonnen hatte –, vermochte sie ihren Blick nicht von seinen Lippen loszureißen. Sie beobachtete, wie sie sich bewegten, nahm aber die Worte nicht wahr. Denn alle ihre Sinne konzentrierten sich darauf, sein Wesen zu erfassen, in ihrem Gedächtnis zu speichern, Erinnerungen zu sammeln für die Tage, Monate und Jahre, wo sie nichts anderes besitzen würde, was sie aufrechterhielt.
„Liz, Darling – verleugne unsere Liebe nicht.“
Diese Worte hörte sie, fühlte den Schmerz und das Verlangen, die darin mitschwangen. Ihr Herz krampfte sich zusammen, Tränen brannten in ihren Augen. Lewis legte einen Arm um ihre Schultern, nur ganz behutsam, und sie hätte sich mühelos befreien und seinem Mund ausweichen können, der sich ihrem näherte. Aber aus irgendeinem Grund fehlte ihr die Kraft dazu.
Zärtlich und voller Freude küsste er sie, wie ein Mann, der einen kostbaren lange vermissten Schrein anbetet. Und sie unterwarf sich hilflos ihren Empfindungen. Der Kuss wurde leidenschaftlicher, Lewis presste sie fester an sich.
Es wäre ein Leichtes gewesen, dem körperlichen Drang der Liebe alle Türen zu öffnen, sich hinzugeben unter dem klaren Himmel, wo der Wind alle Wolken davongeweht hatte.
Nein, nicht nur leicht, sondern notwendig und richtig. Aber während Liz’ rebellisches Herz noch fragte, warum ihr dieses kurze Glück nicht vergönnt werden sollte, meldete sich ihr Gewissen. Die Früchte ihrer strengen Erziehung, ihr tief verwurzeltes Loyalitätsbewusstsein schlossen die Türen, die zur Liebe führten. Nein, ihre Gefühle konnte sie unmöglich verleugnen, aber sie durfte Edwardund David und das Familienleben nicht betrügen. Jahrelang hatte sie ihre ganzen Kräfte in diese Ehe investiert, die nun auf einer festen Grundlage stand, stark genug, um heftigen Stürmen zu trotzen. Nein, sie durfte dies alles nicht gefährden. Nicht einmal für diesen verwundbaren Mann, den sie immer lieben würde, bis über ihr Lebensende hinaus.
Sie rückte ein wenig von ihm ab, strich über sein Gesicht, und ihre Augen verrieten
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