Schattenjahre (German Edition)
das Frühstück servierte – für zwei Personen. Ja, antwortete sie bereitwillig, Liz und Faye seien immer am ersten Dienstag des Monats in aller Frühe aufgebrochen und erst am frühen Abend zurückgekehrt. Nein,sie habe keine Ahnung, was die beiden an diesen Tagen eigentlich machen würden.
Offenbar gehörten diese Dienstage zur Routine von Haus Cottingdean und erregten keine Neugier. Aber Sage war neugierig, und die Ungewissheit ließ ihr keine Ruhe. Es passte einfach nicht zu Faye, für einen ganzen Tag zu verschwinden, ohne die Nachricht zu hinterlassen, wo sie sei, wo man sie notfalls erreichen könne.
Doch ihr fehlte die Zeit, um sich Fayes wegen den Kopf zu zerbrechen. Die Lokalzeitung war mit der Post gekommen, und darin stand ein Artikel über die geplante Straße. Das Blatt erschien in Diddington, fünf Meilen entfernt, wo man offenbar geteilte Meinungen vertrat, was die Konsequenzen der neuen Straße anging. Manche Leute glaubten, sie würde den Wohlstand der kleinen Marktstadt fördern, eine neue Industrie mit vielen dringend benötigten Arbeitsplätzen für Schulabgänger bringen, die derzeit gezwungen waren, in größere Städte überzusiedeln. Andere sorgten sich – wie Liz – um die drohenden Umweltschäden und die Beeinträchtigung des Lebensstils.
In jedem kleinen, vom vorgesehenen Straßenbau betroffenen Dorf hatten sich Protestgruppen gebildet. Sage las die Liste dieser Bürgerinitiative und entnahm ihr, wie man mit den Organisatoren Verbindung aufnehmen konnte. Sage biss auf ihre Unterlippe und fragte sich zynisch, ob Daniel alle Versammlungen besuchen würde oder nur jene, die Miss Ordman mit ihrer Anwesenheit beehrte. Doch von solchen idiotischen, unproduktiven Gedanken wollte sie sich nicht ablenken lassen. Sie stapelte die Post, goss sich eine zweite Tasse Kaffee ein und verkündete, sie würde Camilla zur Schule fahren. Den Rest des Tages wollte sie in der Bibliothek verbringen – nicht, um begierig die Tagebücher ihrer Mutter zu verschlingen, so gern sie das auch getan hätte. Beinahe war sie süchtig nach diesen Aufzeichnungen, als suchte sie nach irgendetwas. Stattdessen würde sie die Mutter vertreten und Cottingdean vor Daniel Cavanaghs Bulldozern schützen.
Um neun erreichte Faye den Stadtrand. Sie kam immer zu früh an, was Liz gutmütig akzeptierte. Bis zur Besuchszeit saßen sie in einem der altmodischen Cafés am Meer und tranken Tee.
Die kleine Stadt Fellingham erfüllte alle Bedürfnisse ihrer Bewohner. Hier gab es keine hypermodernen Hamburger-Bars und Pubs, nur gemütliche Cafés, wo man Earl-Grey-Tee und hausgemachte Süßigkeiten genießen konnte.
Diesmal hatte Faye keine Lust auf Tee. Ihr Magen drehte sich schon jetzt um. Die Autofahrt hatte sie zumindest beschäftigt, von ihren Problemen abgelenkt.
Automatisch parkte sie am Meer. An diesem Tag war der Kanal ruhig und spiegelte die klare Himmelsbläue wider. Die Einwohner von Fellingham promenierten bereits auf den gepflegten Wegen zwischen den Blumenbeeten. Warum erzeugte diese geordnete Sauberkeit eine so deprimierende Atmosphäre? Faye vermied es, auf die Uhr am Armaturenbrett zu schauen, den Lauf der Zeit zu verfolgen. Wieso musste sie immer so früh hier eintreffen? Als könnte sie es nicht erwarten … Sollte sie nach Hause zurückfahren? Niemand würde es wissen. Die Versuchung überwältigte sie beinahe. Aber Faye widerstand ihr. Sie war eine erwachsene Frau, kein Kind, und sie hatte es bereits geschafft herzukommen – ja, doch die Tortur lag noch vor ihr. Fünf vor zehn. Zeit zum Aufbruch. Wenn sie ganz langsam ging …
Sie stieg aus dem Wagen, eine kleine, schlanke Frau, die zwischen den Bewohnern von Fellingham vergleichsweise jung wirkte und fehl am Platz. Manche starrten sie neidisch und abweisend an, bis sie sahen, welche Richtung sie einschlug.
Das Haus war eines der größten in der stillen Straße. Früher ein Privatgebäude, wurde es nun diskret durch dekorative Schmiedeeisenzäune und ein kompliziertes Sicherheitssystem gegen die Außenwelt abgeschirmt. Das bedeutete, dass Faye ein paar qualvolle Minuten warten musste, ehe sich das Tor öffnete.
Diesen Augenblick fand sie stets am schlimmsten – das Gefühl, eine Gefangene zu sein, sobald sie eingetreten war. Doch der gepflegte Garten wirkte keineswegs bedrohlich. Liz hatte beim ersten gemeinsamen Besuch erfreut auf die angenehme Umgebung hingewiesen.
Sie ging zur Haustür. Die Angestellte, die sie einließ, hätte eine gut gekleidete,
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