Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
Erdreich und glatt geschmirgelte Felsen zum Vorschein. »Der Sandsegler erreicht eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gut und gern fünf Stundenkilometern; selbst dann, wenn man die kleinen Dünen und Erhebungen berücksichtigt, die wir noch überwinden müssen. Und wir sollten ein ähnliches Tempo beibehalten können.«
Laura sah sich um. Mehr als ein Dutzend Frauen und Männer stolperten ihnen hinterher. Sie taten einen Schritt nach dem anderen, mechanisch, ohne ein Wort zu reden, die Blicke starr geradeaus gerichtet. Es gab nichts, anhand dessen man sich orientieren konnte. Nur diese eine dünne, gezackte Linie, die viel zu langsam an Konturen gewann.
»Najids Vorsprung wird nicht unbedingt schmelzen«, sagte sie.
»Mag sein. Doch er muss während der Nacht schlafen. Und spätestens morgen sind seine Wasservorräte verbraucht. Er wird seine Kräfte einzuteilen haben, während wir ihm mit gesättigtem Magen folgen können.«
Ein gesättigter Magen ... Wurmfleisch zum Frühstück, Wurmfleisch zum Abendmahl, Wurmfleisch für zwischendurch. Lauras Magen drohte beim Gedanken an diese grässlichen Viecher zu rebellieren.
Andererseits: Sie hatte ein Gefühl der Völle, wie sie es seit Tagen nicht mehr gekannt hatte. Selbst die Vegetarier der Gruppe hatten ohne längere Diskussionen zugegriffen, als es darum gegangen war, feste Nahrung zu sich zu nehmen.
»Ich glaube, dass sich Najid links der Hügelgruppe gehalten hat«, sagte sie.
»Wie kommst du darauf?« Milt blickte sie erstaunt an.
»Es ist bloß eine Ahnung.«
Wie sollte sie ihrem Begleiter erklären, dass es sie unwiderstehlich in diese ganz bestimmte Richtung zog? Dass es ihr fast Übelkeit bereitete, in die von Milt vorgegebene Richtung zu gehen?
Würde er ihre Bedenken verstehen? Er, der an die Obeah-Geisterwelt glaubte, müsste doch zumindest ein wenig Feingefühl besitzen und ihrem ... ihrem weiblichen Instinkt vertrauen können.
Laura stieß gegen einen Stein, der unter der Sandschicht verborgen gewesen war, stolperte, fiel mit überkreuzten Beinen zu Boden - und rutschte unter den erstaunten Blicken ihrer Begleiter mit dem Kopf voran in eine metertiefe Grube.
Sie richtete sich hastig auf, schüttelte den Sand aus den Haaren, fluchte, reinigte Haare und Gesicht, kam wieder auf die Beine - und musste sich von Milt helfen lassen, der sie aus der Grube hievte. Sein Grinsen zog sich von einem Ohr zum anderen, auch die anderen Menschen konnten ihre Heiterkeit nur mühsam verbergen. Ein junger Mann, mit dem sie bislang kaum zu tun gehabt hatte, eilte heran und half ihr mit einem schüchternen Lächeln auf die Beine. Wie war sein Name noch mal gewesen? François? François Rougeon, der Bretone?
Sie stützte sich an ihm ab und schüttelte Sand aus dem Haar, um dann zu ihren anderen Begleitern zurückzuklettern.
»Donalda, die Pechvogelin, schlägt wieder zu!« Milt lachte.
»Erspar mir den Spott und hilf mir gefälligst beim Abputzen!«, fuhr Laura ihn an. Sie hatte ihre kleinen Missgeschicke so satt und auch diese ganz spezielle Art von Aufmerksamkeit, die man ihr aufgrund ihrer Ungeschicklichkeiten widmete. Konnte sie denn nicht einen einzigen Tag lang vom Pech verschont bleiben? Warum traf es ausgerechnet immer sie? Warum hatte ihr Auto mindestens einmal im Jahr einen Platten, warum stand sie im Supermarkt immer am Ende der längsten Schlange, warum wurde stets sie zum Gespött der Leute?
Sie stieß Milts Hand beiseite und stapfte vorneweg, dem Sandsegler hinterher. Sie hatte jegliches Interesse an Gesellschaft verloren.
Mit der Abenddämmerung ließ der Wind nach. Ihr Gefährt ratterte trotz günstiger Bodenbedingungen nur noch langsam und holprig durch den Wüstensand und blieb schließlich ganz stecken.
Im Abendglühen zeigten sich die Schatten riesiger Vögel, deren Spannweite vier oder fünf Meter betrug. Sie umkreisten eine Weile das Lager der Menschen und sonderten gelbes Sekret ab, das im Sand augenblicklich verfestigte und zu dicken, kristallin wirkenden Klumpen wurde. Der ätzende Geruch zwang sie, die Brocken so rasch wie möglich beiseitezuschaufeln und unter Sandhaufen zu vergraben. Die Vögel protestierten lautstark. Ihr Gekecker klang aggressiv und beunruhigend, und mehrmals befürchtete Laura, dass sie angreifen würden. Doch sie blieben, wo sie waren, um dann, als die Dämmerung endgültig einsetzte, der Sonne nachzufliegen.
Wiederum reagierten die meisten Überlebenden mit Ignoranz. Sie wollten nicht darüber reden, was sie
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