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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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davon. Molly behielt das Geheimnis für sich, weil sie Bruce noch weniger leiden konnte als Chad. Bruce bestand darauf, dass alle im Haus – außer ihm – vom Apparat in der Küche aus telefonierten, wo jeder mithören konnte.
    Das Telefon klingelte dreimal. Molly starrte auf das Mobilteil, das sie mit der Hand umklammert hielt, wagte nicht zu atmen, hielt den Mikrokassettenrecorder ganz fest in der anderen kleinen, schweißnassen Hand. Sie befürchtete, dass Bruce den Anruf verschlafen würde. Ihm war es egal, was mit Erin passierte. Aber als sie sich gerade entschloss, ans Telefon zu gehen, hörte das Klingeln auf. Sie biss sich auf die Lippe, drückte den Knopf am Mobilteil und den Aufnahmeknopf des Recorders.
    Es war dieselbe schreckliche, unheimliche verzerrte Stimme aus dem Video, wie aus einem Horrorfilm. Jedes Wort lang gezogen und betont, metallisch und unheilvoll. Mollys Augen füllten sich mit Tränen.
    »Sie haben die Regeln gebrochen. Das Mädchen wird dafür bezahlen.«
    »Wovon reden Sie?«, fragte Bruce.
    »Sie haben die Regeln gebrochen. Das Mädchen wird dafür bezahlen.«
    »Ich kann nichts dafür.«
    »Sie haben die Regeln gebrochen. Das Mädchen wird dafür bezahlen.«
    »Ich kann nichts dafür. Ich hab die Polizei nicht gerufen. Was wollen Sie von mir? Was soll ich tun?«
    »Bringen Sie das Geld zur vereinbarten Stelle. Sonntag. Achtzehn Uhr. Keine Polizei. Kein Detektiv. Nur Sie.«
    »Wie viel?«
    »Bringen Sie das Geld zur vereinbarten Stelle. Sonntag. Achtzehn Uhr. Keine Polizei. Kein Detektiv. Nur Sie. Sie haben die Regeln gebrochen. Das Mädchen wird dafür bezahlen. Sie haben die Regeln gebrochen. Das Mädchen wird dafür bezahlen.«
    Die Verbindung wurde unterbrochen.
    Molly stellte das Telefon aus, schaltete den Recorder aus. Sie zitterte so sehr, dass sie meinte, sich übergeben zu müssen. Sie haben die Regeln gebrochen . Das Mädchen wird dafür bezahlen .Die Worte hallten in ihrem Kopf nach, immer und immer wieder, so laut, dass sie sich die Ohren zuhielt, aber es nützte nichts.
    Das war alles ihre Schuld. Sie hatte geglaubt, das Richtige zu tun, das Vernünftige. Sie hatte geglaubt, niemand würde etwas zu Erins Rettung unternehmen. Sie hatte gehandelt. Sie hatte Hilfe gesucht. Jetzt würde Erin vielleicht sterben. Und es war ihre, Mollys, Schuld.
    Ihre und Elenas.
    Sie haben die Regeln gebrochen . Das Mädchen wird dafür bezahlen .

28
    Zur ungewissen Stunde vor Tagesanbruch
Kurz vor dem Ende der endlosen Nacht
     
    Seltsam, welche Dinge wir uns merken und aus welchen Gründen. Ich erinnerte mich an diese Zeilen aus einem Gedicht von T. S. Eliot, weil ich mit achtzehn, als eigensinnige Studienanfängerin an der Duke, total in meinen Literaturprofessor Antony Terrell verknallt war. Ich erinnerte mich an eine leidenschaftliche Diskussion über Eliots Werk bei Cappuccino in einem Café, an Terrells Behauptung, Vier Quartette sei Eliots Erforschung von Zeit und geistiger Erneuerung, während ich behauptete, dass Eliot der eigentliche Grund für das Broadwaymusical Cats sei und daher überhaupt nichts taugte.
    Ich hätte auch behauptet, die Sonne sei blau, nur um mit Antony Terrell zusammen zu sein. Diskussionen: meine Art des Flirtens.
    Ich dachte nicht an Antony, während ich mit angezogenen Knien in der Sofaecke saß, an meinem Daumennagel kaute und aus dem Fenster in die Dunkelheit vor Tagesanbruch starrte. Ich dachte an Ungewissheit und was am Ende dieser endlosen Nacht passieren würde. Ich gestattete mir nicht, über Dinge wie geistige Erneuerung nachzudenken. Vermutlich weil ich glaubte, meine Chance zum Teufel gejagt zu haben.
    Ein Schauder überlief mich, und ich fing an zu zittern. Ich wusste nicht, wie ich damit leben sollte, wenn durch mein Erwischtwerden bei Van Zandt das Beweisstück verloren ging, das ihn als Mörder überfuhren konnte. Wenn er in Erin Seabrights Verschwinden verwickelt war und ich die Chance vermasselt hatte, dass man ihn wegen irgendwas anklagen und damit unter Druck setzen konnte, Erin freizulassen …
    Komisch. Bevor ich je von Erin Seabright gehört hatte, hatte ich nicht gewusst, wie ich damit leben sollte, dass Hector Ramirez aufgrund meines Handelns gestorben war. Nur war es mir jetzt, im Gegensatz zu vorher, nicht mehr egal.
    Irgendwann hatte sich in all diesem Durcheinander Hoffnung durch die Hintertür hereingeschlichen. Hätte sie an die Haustür geklopft, dann hätte ich sie genauso schnell weggeschickt wie die Zeugen Jehovas. Nein

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