Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
Vom Netzwerk:
Atemwegserkrankungen litt. Eine der vielen Horrorstatistiken in diesem Land.
    Keiner der beiden Afghanen nahm Notiz von dem hustenden Kind, das jetzt auf die Knie sackte. Ben Fischer zwang sich weiterzugehen. Er konnte dem Jungen nicht helfen. Er war kein Arzt. Er war hier, um Polizisten auszubilden. Ihnen beizubringen, wie sie mit Tatverdächtigen und Zeugen umzugehen hatten. Sie auf neue Rechte und Gesetze einzuschwören. Das war seine Aufgabe. Sonst nichts.
    Doch aus einem Impuls heraus drehte er sich wieder um und kauerte sich neben den Jungen. Er wusste, es würde nichts ändern, nichts verbessern. Aber ohne dass es die anderen Kinder bemerkten, steckte er dem Jungen
500
 Afghanis in die Hosentasche.
    ‹Viel zu viel›, sagte ihm sein Verstand. ‹Keine zehn Euro›, hielt eine andere Stimme dagegen.
    Er strich dem Kind über den Kopf, stand auf und folgte seinen Begleitern in die Gasse der Töpfer. Ihretwegen war er nach Istalif gekommen. Er interessierte sich für die Schalen und Becher, die man hier in dem typischen Blau- und Türkiston dieser Region brannte.
    Das Bild des kranken Jungen versuchte er zu vergessen.
     
    Nach einer Stunde hatten sie alles gesehen, was das zerstörte Dorf zu bieten hatte. Selbst die staubgraue, kleine Moschee war dem Führer einen Abstecher wert gewesen.
    Ben Fischer entlohnte den Führer großzügig. Der Mann revanchierte sich prompt und lud sie ins Teehaus ein. Ein Blick des alten Afghanen reichte, und sofort standen vier junge Männer von einem Tisch auf, um ihnen Platz zu machen. Der Besitzer brachte ihnen ein Tablett mit Tee, Mandeln und Nüssen.
    Auf der anderen Seite der Straße hatte sich wieder ein Pulk Kinder versammelt. Etwas abseits stand der Junge. Er schien sich von seinem Asthmaanfall wieder erholt zu haben. Sein leerer Blick, der von diesem Leben nichts mehr zu erwarten schien, verfolgte Ben Fischer auch noch die gesamte Rückfahrt über.
    Als er in Kabul ausstieg, hatte er einen Entschluss gefasst. Es war zwar nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, aber vielleicht könnte er einen der deutschen Ärzte aus dem Bundeswehrcamp gewinnen, einmal im Monat nach Istalif zu fahren und die Kinder unentgeldlich zu behandeln. Ben Fischer nahm sich vor, gleich in der nächsten Woche im Camp vorbeizufahren.
     
    Schon zwei Tage später hatte er Gelegenheit, einen deutschen Offizier auf seinen Vorschlag anzusprechen. Aber der Mann schüttelte den Kopf.
    «Die meisten Soldaten und Ärzte verlassen das Camp nie. Das ist viel zu gefährlich. Wo sollten sie auch anfangen? Und wo wollen Sie aufhören? Es wimmelt hier von Kindern, die behandelt werden müssten. Angeblich stirbt eines von sechs Kindern vor seinem fünften Lebensjahr. Aber die Straßen sind eben auch voll von schwerbewaffneten Männern, die nur darauf warten, dass wir uns rauswagen.»
    Doch so schnell wollte Fischer nicht aufgeben.
    Bei einem abendlichen Empfang ein paar Tage später in der Polizeiakademie waren mehrere Vertreter der Bundeswehr erschienen. Wieder trug er sein Anliegen vor. Ein Kommandant winkte energisch ab. Fast jeden Tag brächten Afghanen verunglückte Landsleute zur Behandlung ins Lager.
    «Letzte Woche mussten meine Leute drei Kinder zusammenflicken. Einer von ihnen war beim Ziegenhüten am Morgen auf eine Mine getreten. Man hat die schreienden Bündel nicht etwa im Rettungswagen, sondern im Auto des örtlichen Bürgermeisters vorgefahren.» Der Mann schnaufte. «Ich erspare Ihnen die Details. Einer meiner Sanitäter war nach dem Einsatz tagelang nicht mehr zu gebrauchen.» Der Mann nahm sich noch ein paar getrocknete Aprikosen und Zucchini mit Safransoße vom Büfett und brach sich etwas Fladenbrot ab. Fragend schaute er Ben Fischer an. «Warum gerade Istalif?»
    «Warum nicht?», entgegnete Fischer. «Ist es nicht egal, wo man beginnt?»
    Der Kommandant musterte ihn spöttisch. «Nein, das ist es nicht. Wir dürfen die verschiedenen Clanführer nicht vor den Kopf stoßen. Im Gegenteil, wir müssen die Warlords auch in unsere humanitären Pläne mit einbeziehen und vor allem ständig die Sicherheitslage beachten. Nichts ist schwerer, als etwas Gutes in Afghanistan tun zu wollen! Ein Stamm gönnt dem anderen nicht das Schwarze unter den Nägeln.»
    Sie hatten das Thema an dem Abend nicht weiterverfolgt. Doch Ben Fischer ließ das Bild von dem schmalen, um Atem ringenden Jungen nicht mehr los.
    Nur vier Wochen später fuhr er erneut nach Istalif. Diesmal begleitete ihn eine deutsche

Weitere Kostenlose Bücher