Schattenspiel
die nächste Perlenkette in den Händen und den nächsten Pelzmantel um die Schultern spürte, wünschte sie, ihm zurufen zu können: »Hör auf! Hör auf, ich ersticke! Ich bin das Mädchen mit dem Gesicht eines Engels, und mit einem Körper, von dem man sagt, er sei vollkommen,
und ich habe eine wunderschöne Wohnung über dem Central Park und Kleider und Schmuck, und ich gehe auf jede Party in dieser Stadt, aber unter all dem Glitzer und Glanz fühle ich mich einsam und krank, und wenn du doch meine Seele streicheln anstatt sie mit Gold behängen würdest!«
»Du bist schon wieder in Gedanken ganz woanders, mein Liebling«, sagte David sanft, »und du hältst das Besteck falsch herum!«
Ohne es zu merken, hatte sie Messer und Gabel erneut vertauscht. David schien ihren unterdrückten Ärger zu bemerken, mit dem sie auf die Zurechtweisung reagierte, denn er strich ihr über die Hand. »Ich will dich nicht quälen, Laura. Aber irgendwann bist du meine Frau, und dann...«
Sie sah ihn nicht an, sie mochte nicht, daß er merkte, wie es in ihr aussah. Sie haßte ihn, wenn er so mit ihr sprach. Immer behandelte er sie wie ein kleines Kind, ständig erzog er an ihr herum.
»Laura, zieh nicht immer Turnschuhe an, so bekommst du nie einen damenhaften Gang.« »Laura, kämm bitte dein Haar, so sieht es unmöglich aus.« »Laura, um Himmels willen, wisch diesen Lippenstift ab, das ist ja ordinär!« »Laura, eine Dame hat immer ein Taschentuch in ihrer Handtasche.« »Laura, eine gute Gastgeberin muß wissen, wie sie die Leute unterhält und keine langen Gesprächspausen am Tisch entstehen läßt!«
Er sagte das sanft und freundlich und immer wieder. Laura hätte manchmal schreien können. Wenn sie am Morgen das Frühstückszimmer betrat, wo David bereits am Tisch saß und Zeitung las, kam wie das Amen in der Kirche eine Kritik an ihrer Kleidung.
»Laura, in dem T-Shirt kannst du heute nicht herumlaufen! Es ist viel zu kalt!«
»Mir ist ganz warm.«
»Schätzchen, die Sonne täuscht. Es ist nicht warm draußen.«
»Ich bin ja hier drinnen.«
»Hier ist es auch nicht warm genug. Sei ein braves Mädchen,
und zieh dir etwas Wärmeres an. Du willst dich doch nicht erkälten!«
Leck mich am Arsch, dachte sie, ebenso erschöpft wie wütend.
Sie fragte sich, woher er das Recht dazu nahm. Weil sie aus der Gosse kam? Ein Aschenputtel, das er in sein Schloß geholt hatte und zur Prinzessin dressieren wollte? Ausgerechnet er! Neurotisch bis in die letzte Haarspitze, unfähig, mit Menschen umzugehen, sich Freunde zu machen. Nach den ersten Wochen, in denen sie ihn für phantastisch gehalten hatte, war ihr das nach und nach immer klarer geworden. Er war bei Gott nicht der tolle Kerl, als der er sich verkaufen wollte. Sie bekam seine Angstträume mit, seine Kopfschmerzen, seine trostlose Einsamkeit. Er hatte den alten Andreas Bredow – und sie. Niemanden sonst. Diese Erkenntnis rief sie sich stets ins Gedächtnis, wenn sie meinte, über seinen fortdauernden Gängeleien noch wahnsinnig zu werden. Er wollte sie vollkommen vereinnahmen und beherrschen, weil er Angst hatte, sie zu verlieren. Das machte diesen Zustand für sie nicht erträglicher, aber es half ihr, ruhiger zu werden, wenn die Wut sie wieder packte. Sie schwankte dann zwischen Mitleid und Zorn. Manchmal siegte das Mitleid.
»Ich weiß«, sagte sie nun auf seine Vorhaltungen hin. »Wenn ich erst deine Frau bin, soll niemand merken, daß du dir eine Schlampe aus der Bronx genommen hast.«
»Laura...«
»Außerdem heiraten wir sowieso nie. Dein lieber Andreas ist schließlich dagegen, und da du es nie riskieren wirst, von ihm enterbt zu werden, werde ich wohl ein Leben lang in dem von dir gemieteten netten Appartement sitzen und auf deine Besuche warten.«
»Ich wußte nicht, daß dir das Appartement nicht gefällt«, sagte David gekränkt. »Und warten mußt du überhaupt nie. Du siehst mich jeden Tag.«
»Schon gut, David.« Sei still, ich bekomme Kopfweh!
»Es wäre äußerst unklug, jetzt einen Krach mit Andreas zu provozieren«, fuhr David fort, und es war klar, er würde nicht still sein, ehe er Laura nicht überzeugt hatte. »Denn das könnte
mich tatsächlich mein ganzes Erbe kosten. Was hätten wir davon? Laura, er wird nicht ewig leben. Sein Herz macht ihm jeden Tag mehr zu schaffen. Er ist...«
»David, wirklich, vergiß, was ich gesagt habe. Ich weiß, wie die Dinge liegen und daß es nicht anders geht.«
»Liebling, ich bin froh, daß ich dich
Weitere Kostenlose Bücher