Schattenturm
biblisch.«
»Ist das ein Problem für dich?«
»Du könntest Profess…«
»Hör auf. Ich …« Joe atmete tief durch. »Ach, verdammt, ich habe keine Lust, immer wieder über dasselbe Thema zu streiten.« Er warf das Manuskript auf den Stapel und verließ das Zimmer.
Beim Frühstück bemühte Pam sich nach Kräften, die angespannte Stimmung aufzulockern, jedoch vergebens. Joe gab nur kurze, bissige Antworten.
»Tut mir Leid, dass ich euch an eurem Hochzeitstag verlassen muss«, sagte er, stand auf und ging zu den Reisetaschen, die bereits in der Eingangshalle standen.
Giulio folgte ihm. »Warum reist du schon wieder ab? Du bist doch gerade erst gekommen.«
»Ich bin zu eurer Hochzeit gekommen, aber die war ja schon gelaufen. Meinen Glückwunsch. Pam ist eine reizende Frau. Ich treffe mich jetzt mit Danny und Gina.«
»Wie du willst.«
»Wie ich will. Genau.«
Es war dunkel, als Anna das Haus verließ, um das Tor am Eingang zum Grundstück zu schließen. Sie wollte gerade ins Haus zurück, als sie auf der anderen Straßenseite die Glut einer Zigarette aufleuchten sah. John Miller hob eine Hand.
»Ich weiß nicht, welcher Teufel mich gestern Abend geritten hat«, sagte er und kam mit hängenden Schultern und traurigem Blick auf Anna zu. Er hatte geduscht; sein Rugbyhemd und die Jeans waren sauber, aber zerknittert.
Anna schaute ihn wehmütig an. Als sie sich vor einundzwanzig Jahren zum ersten Mal begegnet waren, hatte er ausgelassen gefeiert. Frankreich hatte Irland bei einem Rugby-Länderspiel in Paris mit einem Punkt Vorsprung geschlagen. Zuerst hatte er die Niederlage kaum verschmerzen können, doch ein paar Stunden später war er betrunken gewesen und stolz darauf, wie gut die Iren sich geschlagen hatten.
»Ich vertrage keinen Whiskey«, sagte er nun, stützte die Arme aufs Tor, starrte zu Boden und scharrte mit den Schuhsohlen im Kies.
Anna schüttelte seufzend den Kopf.
»Tut mir Leid.« John hob den Blick. »Wirklich.«
»Schon gut«, sagte Anna und wandte sich zum Gehen.
»Warte. Bitte.«
»Was erwartest du von mir? Es war wirklich kein schönes Wiedersehen nach all den Jahren.«
»Ich wünschte, ich hätte dich gestern Abend nicht getroffen.«
»Was wäre denn anders gewesen, wenn du mich erst heute getroffen hättest?«
»Ich wäre nüchtern, und du wärst immer noch wunderschön.«
Anna lächelte wider Willen. »Ich muss jetzt zurück.«
Sie betrat das Haus und verschloss hinter sich die Tür. Als sie ins Arbeitszimmer ging, drehte Shaun sich auf seinem Bürostuhl zu ihr um.
»Sieh mal, Mom. Ich bin im Internet.«
Anna beugte sich über die Schulter ihres Sohnes und sah Shauns lächelndes Gesicht auf dem Monitor; daneben befand sich das Foto des kleinen Shaun mit dem Spielzeuggewehr. Darunter stand sein Name mit einigen Angaben zu seiner Person.
Anna erfuhr, dass Shaun amerikanisches Essen bevorzugte, am liebsten Dr. Pepper trank, dass sein Lieblingssport Baseball war, dass er am liebsten in Florida leben würde und dass er noch keine Ahnung hatte, was er beruflich machen wollte.
»Aus dir wird allmählich ein waschechter Ire«, sagte Anna.
4. STINGER’S CREEK
North Central Texas, 1979
Von dem verbeulten weißen Pick-up splitterte Rost ab, als er über die unebene Straße holperte, die aus Stinger’s Creek hinausführte. Es war nach Mitternacht, und Wanda Rawlins kauerte mit gespreizten Beinen benommen auf dem Beifahrersitz. Ihr Gesicht war blass, und ihr weißblondes Haar mit dem dunklen Ansatz klebte in feuchten Strähnen auf Stirn und Wangen.
Duke Rawlins’ Lider zuckten, ehe er die Augen aufschlug. Der widerliche Geruch des Kiefernduftsprays stieg ihm in die Nase. Er schaute zu seiner Mutter auf, die Finger apathisch in ihren Arm gekrallt. Ab und zu fiel Licht auf ihr Gesicht, und er sah die verschmierte Wimperntusche unter ihren Augen. Wanda starrte aus dem Fenster. Duke versuchte zu sprechen, doch seine Kehle war trocken und rau vom Schreien, und er brachte kein Wort hervor. Aus seinem blassen Gesicht war alle Farbe gewichen. In seinem Kopf hämmerte es, und er spürte ein seltsames Kribbeln, das sich wellenartig den Arm hinunter bis in die Fingerspitzen ausbreitete. Schmerzen im Gesäß veranlassten ihn, seinen kleinen Körper vorsichtig auf die Seite zu rollen, wobei seine blaue Shorts sich um seine Oberschenkel wickelte. Schon diese geringe Anstrengung ließ ihn für einen Moment das Bewusstsein verlieren.
»Ich glaube, er hat sich bewegt! Hey, er hat sich
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