Schicksalsfäden
ihr Schweigen auf seine Art deutete. »Na ja, Süße. Mach dir mal keine Gedanken deswegen. Als Mutter wärst du sowieso nicht richtig geeignet.
Deine großen Talente liegen ganz woanders, das wissen wir doch beide.«
Viviens Mund öffnete sich, aber sie brachte keinen Ton heraus. So groß war ihr Gefühl von Scham und Schuld, dass sie nur einen Gedanken fassen konnte: Grant durfte es niemals herausfinden. Wenn er je erfahren sollte, dass sie … abgetrieben hatte, würde er sie für immer verachten. So wie sie sich selbst verachtete …
»Vivien.« Wieder riss Gerards Stimme sie aus ihren quälenden Gedanken. Er stand hinter ihr und begann ihre Arme zu streicheln. Seine Stimme bekam etwas Flehentliches: »Warum verlässt du nicht diesen Kerl und kommst wieder zu mir, Süße? Noch heute Nacht. Ich kann viel für dich tun, das weißt du doch.«
Giftige Worte lagen ihr auf der Zunge, aber sie zwang sich, sie herunterzuschlucken. Sie wusste, es wäre nicht klug, sich diesen Mann offen zum Feind zu machen. Wer weiß, vielleicht konnte er ihr sogar noch nützlich sein.
Sie drehte sich um und versuchte ein Lächeln. »Ich werde über Ihr Angebot nachdenken, aber aus heute Nacht wird nichts, Gerard. Und jetzt gehen wir besser getrennt ins Haus zurück. Ich möchte nicht dass Grant auf falsche Gedanken kommt.«
»Aber einen Kuss zum Abschied, Süße, den kannst du mir nicht verwehren.«
Jetzt schaffte Vivien sogar ein verführerisches Lächeln. »Ein Kuss, Gerard? Bringen Sie mich am besten gar nicht erst in Versuchung. Sie wissen, ich kriege nicht so schnell genug. jetzt gehen Sie, bitte.«
Hektisch griff er nach ihrer Hand und drückte einen Kuss darauf. Kaum war er im Dunkel verschwunden, fiel das Lächeln von ihrem Gesicht wie eine Maske. Sie legte sich eine Hand an die Stirn und bekämpfte den Dran& ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Ein paar Mal musste sie kräftig schlucken. Dann glaubte sie sich wieder unter Kontrolle zu haben und sie ging langsam zurück zur fröhlichen Gesellschaft.
Aber die Begegnung hatte sie ziemlich mitgenommen, deshalb hielt sie noch einmal vor einer Steinskulptur an einer Hecke und atmete tief durch. Eine willkommene Brise erfasste ihr Haar, umfächelte ihr Gesicht und erfrischte sie für einen Augenblick. Sie riss sich zusammen und beschloss, für heute Abend ihre Rolle bis zum bitteren Ende weiterzuspielen.
»Verdammte Hure!« Eine hasserfüllte männliche Stimme kam aus der Dunkelheit und ließ Vivien einen Schauer über den Rücken laufen. »Verdammte Hure, ich bring dich um!«
Vivien wirbelte herum, aber außer Schatten sah sie nichts und niemanden. In der Stille hörte sie nur das Pochen ihres Herzens und das Rauschen ihres Bluts. Und dann glaubte sie, Schritte zu hören, ganz nah, sie kamen auf sie zu. Vivien erwachte aus ihrer Erstarrung, raffte ihr Kleid so hoch sie konnte und lief in Panik auf die Treppen zur Terrasse zu. Sie nahm zwei feuchte, glitschige Stufen auf einmal, glitt aus und schlug hin. Sofort spürte sie einen lähmenden Schmerz am Schienbein. Aber sie rappelte sich auf, musste weiter, ins Licht zu den Menschen, bevor …
In diesem Moment wurde sie von hinten von starken Armen gepackt.
»Nein!«, schrie sie auf und schlug verzweifelt um sich, aber der Griff zog sich wie eine Stahlkralle unbarmherzig zu.
Die raue Stimme war jetzt ganz nah an ihrem Ohr, und es vergingen noch einige Sekunden, ehe Vivien verstand, was sie sagte, ehe sie die Stimme erkannte. »Ganz ruhig, Vivien. Ich bin es! Sehen Sie mich an! Vivien, sehen Sie mich an, verdammt noch mal!«
Vivien öffnete die Augen und starrte ihn für lange Sekunden an, ehe ihr Puls sich beruhigte. »Grant!«, stieß sie zwischen tiefen Atemzügen hervor. Er musste von der Terrasse aus ihre Flucht gesehen haben und ihr sofort entgegengekommen sein. jetzt saßen sie auf der feuchten steinernen Treppe, eng umschlungen, sein Gesicht ganz nah an ihrem. Das Mondlicht beschien sein Gesicht, seine langen Wimpern warfen Schatten auf seine Wangen.
Zitternd hielt sie sich an ihm fest, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. »O mein Gott, zum Glück sind Sie hier!«
»Was ist passiert?«, fragte Grant fest. »Vor wem sind Sie geflohen?«
Sie sah auf und befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. »Ich lehnte an einer Statue da vorn, als mich plötzlich jemand ansprach.«
»Wer war es? Haben Sie ihn erkannt? War es Gerard?«
»Nein, das glaube ich nicht. Er klang nicht wie Gerard, aber ganz sicher bin ich mir nicht.
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