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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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die Zeit der Überschwemmungen, in der die Straßen selbst für allradgetriebene Wagen unpassierbar sind, eine Flußlandschaft. Auf der Karte zog sich der Great Northern Highway wie ein orangefarbener Strich durch ein weißes Gebiet mit Schraffuren, das Bett des Fitzroy River, das Weiß ein leeres, trockenes Gebiet, das sich bis zur Great Sandy Desert erstreckt, Land ohne Straßen, ohne Namen, nur Leere. Kurz bevor diese immense Leere beginnt, gibt es noch Wörter, da heißt die Welt noch Yarri Yarri oder Pyramid Hill, Djilimbardi, Outpost Hill, aber mein Auto taugt nicht für so viel Sand – nicht für das Wasser und nicht für den Sand. Ich lese, was in kleinen roten Buchstaben in all dem Weiß steht: »The magnificent Fitzroy River flows through rugged hills and plains for over 750 km. When in flood it can reach up to 15 km wide and the flood waters have carved through the limestone of the Devonian Reef to form the Geikie Gorge. The area marked in grey on this map shows where access to the river is closed to control Noogoora Burr, a noxious weed.«
    Fitzroy River
    Und jetzt? Jetzt bin ich wieder in Broome, es läßt mich einfach nicht los. Ich kam aus Bali, über Perth, ein größerer Kulturschock im Zeitraum weniger Stunden ist nicht denkbar. Von Gamelanmusik, Blumenopfern und Tempeln voll anmutiger Gestalten zu Rabauken, Blondhaar und ungeschlachten Körpern, unmöglich, aber man kehrt sein Inneres nach außen, und dann geht es doch. Ironie der Geschichte, am Flughafen miete ich einen Mitsubishi Allrad, Japan hat den Krieg doch gewonnen, die Zeros sind weggeflogen und in Gestalt von Autos zurückgekehrt. Das Motel sieht aus wie ein Motel, tautologischeGewißheiten, man weiß, was man bekommt. Das Rattanbett, die Zwei-Meter-Terrasse mit zwei Plastikstühlen, das Murmeln des Nachbarn, die Nachrichten aus der fernen Hauptstadt, das Flüstern der Klimaanlage, den Singsang des großen Kühlschranks, die eigenartige Maschine, in der man sein Essen zubereiten kann, und alles sonst in den Farben verblichener Narzissen, mein Haus. Jemand hat draußen sein Autoradio angelassen, Reklame für Akkus und Waschmaschinen, die Welt.
    Ich fühle mich immer sehr wohl an solchen Orten. Nun wird es Zeit, die Stadt von damals wiederzufinden, eine Stadt, die keine ist, die keine Hochbauten kennt, nur niedrige tropische Häuser an breiten Alleen mit mächtigen tropischen Bäumen. Carnot Bay, manchmal kann man Dinge nur auf die dümmste Art und Weise ausdrücken. Während ich auf die Karte der Stadt und ihrer Umgebung starre, auf der Suche nach den Orten, an denen ich vor all den Jahren war, sehe ich auf einmal das Wort Carnot Bay. Mein inneres Google, um so vieles primitiver als das Instrument, das auf dem besten Wege ist, unser Gedächtnis binnen weniger Generationen auszuschalten – warum sollte man sich noch etwas merken, wenn irgendwo in der Welt eine Maschine steht, die alles für einen behält –, schnurrt sein bescheidenes Wissen herunter und berichtet mir, daß Carnot Bay in der Geschichte von 1942 ein Kernwort ist, und mit einemmal steht auf meinem inneren Bildschirm der Name Smirnow und Diamanten und Bandung, eine tote Frau und ein totes Kind. Der Krieg und alles, was damit zusammenhängt. Niederländische Geschichte, ich glaube nicht, daß viele sie kennen, wobei die Story von Iwan Smirnow allein schon einen Roman wert ist. Er hat selbst ein Buch darüber geschrieben,außerdem schwirren Berichte über diesen Tag im Internet herum, in dem nie etwas verlorengeht.
     
    Es ist noch immer Dienstag, der 3. März 1942. Unbemerkt von den besetzten Niederlanden, startet in Bandung, das drei Tage später von
     den Japanern erobert werden wird, die Pelikaan, eine Douglas DC-3 der KNILM. Der Pilot ist ein Weißrusse mit allen Merkmalen eines Abenteurers, einer der
     drei Musketiere, der die beiden anderen irgendwo in der Welt zurückgelassen hat. Es wird ein ereignisreicher Flug werden, den nicht alle an Bord überleben
     werden. Iwan Wassiljewitsch Smirnow, der von seinen Freunden »der Türke« genannt wird, hat im Ersten Weltkrieg zwölf deutsche Kampfflugzeuge vom Himmel
     geholt. Er ist berühmt in Fliegerkreisen, umgeben von einer ähnlichen Aura wie von Richthofen, einer jener Ritter der Lüfte, die in ihren Einsitzern
     dramatische Duelle ausgetragen haben. Jetzt ist wieder Krieg, und daß der Flug gefährlich werden kann, weiß Smirnow. Kurz vor dem Start wird ihm ein
     kleines braunes Päckchen übergeben, das sich

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