Schindlers Liste
es opportun sei, die Betriebe innerhalb des Lagers zu haben: Die Inhaber brauchten weder Pacht noch Miete zu zahlen und er selber keine Wachmannschaften für die Beaufsichtigung der Häftlinge auf dem Weg zur Arbeit zu stellen. Und es leuchte ihnen gewiß ein, daß ein langer Weg, noch dazu angesichts der judenfeindlich gesonnenen Einwohnerschaft, den Nutzwert der Arbeitskräfte vermindern müsse.
Er blickte dabei immer wieder Madritsch und Schindler an, die er unbedingt für sich gewinnen wollte. Boschs Unterstützung hatte er schon, aber Schindler hatte eine Munitionsfertigung, wenn auch noch im Zustand der Erprobung, und wenn er die im Lager hätte, würde das sein Ansehen bei der Rüstungsinspektion erheblich steigern.
Madritsch hörte ihm mit gerunzelter Stirne zu, während Schindler entgegenkommend lächelte. Göth wußte, schon bevor er mit seiner Ansprache zu Ende war, daß Madritsch ins Lager kommen werde, Schindler aber nicht. Es ist nicht leicht zu beurteilen, wer von beiden sich seinen Juden gegenüber mehr verantwortlich fühlte, Madritsch, indem er zu ihnen ins Lager kam, oder Schindler, der seine Juden in der Emalia behalten wollte.
Schindler, immer noch einverständig lächelnd, schloß sich den anderen zur Besichtigung an.
Plaszow glich jetzt schon einem Lager; eine Wetterbesserung hatte das Aufstellen der Baracken erlaubt, das Ausheben der Latrinen und Löcher für die Pfosten der Umzäunung.
Eine polnische Baufirma hatte den Zaun gezogen. Nach Krakau hin begrenzten Wachtürme den Horizont, ebenfalls am Eingang zum Tal entlang der Wielickastraße, und hier oben, bei der ehemaligen österreichischen Artilleriestellung, waren die Arbeiten in vollem Gange. Zur Rechten erblickte Schindler Frauen, die auf verschlammten Wegen vom Bahnhof kamen, vorgefertigte Barackenteile zwischen sich. Die Barackenzeilen begannen am tiefsten Punkt des Tales und zogen sich auf terrassiertem Gelände den Hang hinauf. Häftlinge waren mit der Montage von Fertigteilen beschäftigt, und von hier hatte es den Anschein, als arbeiteten sie mit ‘großem Eifer.
Die besichtigenden Herren blickten genau auf die am besten geeigneten, weil ganz ebenen, Teile des Lagergeländes, auf dem sich Holzbauten befanden, die im Bedarfsfall mit einem Betonboden versehen werden konnten, etwa für das Aufstellen schwerer Maschinen.
Die SS würde die Überführung der technischen Einrichtung der Betriebe übernehmen. Noch sei die Zufahrt zum Lager ein besserer Feldweg, doch die Firma Klug habe schon den Auftrag, eine feste Lagerstraße anzulegen, und die Ostbahn habe zugesagt, ein Zubringergleis bis ans Lager und bis zu dem rechts sichtbaren Steinbruch zu führen.
Kalkstein aus dem Steinbruch und die »von den Polen geschändeten« Grabsteine (so drückte Göth sich aus) des jüdischen Friedhofes könnten für die Anlage von Verbindungsstraßen innerhalb des Lagers benutzt werden. Der Straßen wegen sollten sich die Herren keinesfalls Gedanken machen, für den Straßenbau und Steinbrucharbeiten würden stets genügend Häftlinge eingesetzt.
Für den Transport der Steine war eine Feldbahn angelegt worden, die am Verwaltungsgebäude vorbei zunächst bis zu den im Bau befindlichen, aus Stein errichteten Unterkünften der SS und der Ukrainer führte. Die beladenen Loren, jede sechs Tonnen schwer, wurden von etwa vierzig Frauen bergauf gezogen. Wer dabei hinfiel, wurde niedergetrampelt oder rollte beiseite; die Arbeit erforderte ein Tempo, das durch nichts unterbrochen werden durfte. Bei diesem Anblick empfand Schindler die gleiche Übelkeit, die er ehedem schon oberhalb der Krakusastraße verspürt hatte. Göth ging davon aus, daß die Unternehmer Kinder des gleichen Geistes seien wie er selber, mithin unempfindlich gegenüber derartigen Szenen.
Ihm selber machte es nichts aus, mit anzusehen, wie die Frauen sich da quälten. Und Schindler fragte sich wie schon einmal: Gibt es etwas, was die SS beschämen kann? Etwas, das einen Mann wie Göth beschämt?
Selbst ein gut informierter Beobachter wie Schindler hätte denken können, die Häftlinge am Hang gegenüber betrieben mit Feuereifer die Errichtung von Unterkünften für ihre Frauen. Er wußte nämlich nicht, daß Göth am frühen Morgen vor aller Augen eine wohlberechnete Erschießung befohlen hatte und die Männer daher genau wußten, was sie erwartete. Göth war nach der Frühbesprechung mit den Bauleitern zu den im Bau befindlichen SS-Unterkünften geschlendert, wo ein zuverlässiger
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