Schläft das Personal auch an Bord?
Einerseits.
Andererseits ist sie so etwas wie ein Initiationsritus für Jungseemänner (und manchmal auch bedauernswerter – frauen) auf ihrem weiteren professionellenLebensweg zur See. Dabei liegt die Betonung auf »professionell«. Denn was wir Passagiere als Äquatortaufe serviert bekommen, ist die homöopathisch verdünnte Kindergeburtags-Variante dessen, was früher bei der Handelsmarine praktiziert wurde. Hier ein kleiner Einblick in eine Äquatortaufe auf einem Handelsschiff, wie sie tatsächlich (mehr als einmal) stattgefunden hat.
Dazu muss man wissen, dass sich die Täufer als Lakaien von Neptuns Gnaden verstanden und als seine Untertanen versuchten, ihn gnädig zu stimmen. Sensible Leserinnen und Leser ahnen: Das hört sich nach vorauseilendem Gehorsam an. Und das war es auch. Denn niemand weiß ja letztlich, was der Herr mit dem Dreizack wirklich will. Aber Fantasien dazu hatten alle. Und ausbaden mussten das – die Täuflinge.
Vor der Taufe wurden sie tagsüber in eine stählerne Kabine eingesperrt, die bevorzugt an Deck stand, eng war und von der Sonne so richtig schön aufgeheizt wurde (man befand sich ja in Äquatornähe). Zur Stimmungssenkung der maritimen Novizen schlug regelmäßig einer der Täufer mit einem Vorschlaghammer auf den Stahl ein, sodass zum räumlichen und temperaturmäßigen auch noch akustischer Terror kam. Dazwischen wurde ab und an die Luke geöffnet und die Täuflinge wurden mit Seewasser aus dem harten Strahl eines C-Rohrs »erfrischt«. Salz auf ihrer Haut. Plus Hitze und Gedröhn. Harte Kost!
Bis zur Taufe derart weichgekocht, wurde der armeTropf zum Auftakt auf ein Lattenkreuz gebunden (Stichwort » christliche Seefahrt«) , mit ölig-paraffinhaltigem Schmier am ganzen Körper gesalbt (ein Zeug, das man wochenlang nicht abbekam) und dann mit einem harten Besen und viel Seewasser abgeschrubbt. Wenn sich dabei die Haut ablöste, na dann hatte der Täufling halt eine schwache Haut. Aber die »Sünden« des Landrattendaseins mussten für Neptun nun mal vom Körper abgewaschen werden. Da gab es kein Pardon.
Ein weiterer Klassiker war das »Stinkefass«. Es handelte sich dabei um ein 200-Liter-Fass, in dem die Essensreste der gesamten Reise gesammelt wurden. Zweckmäßigerweise stand es am Heck des Schiffes, wo es der prallen Sonne ausgesetzt war, damit die Fäulnisprozesse auf vollen Touren laufen konnten – die dabei entstehenden Gase aber mit dem Fahrtwind davongetragen wurden. Zur Taufe »durften« die Täuflinge in dem randvoll gefüllten Fass »Platz nehmen«. Zwei Stangen, die durch den oberen Rand des Fasses gesteckt wurden, verhinderten, dass sie aus der Stinkebrühe aussteigen konnten, und sicherten gleichzeitig, dass der Kopf nicht untergehen konnte, sondern oben blieb. Oberhalb der üblen Gerüche, die dem Täufling direkt in die Nase stiegen. Und während ihm die Sonne fröhlich auf den Schädel knallte (und die Täufer mit gut gekühltem Bier dabei zuschauten), kam auch noch der »Friseur«, um dem Täufling in diesem speziellen »Friseurstuhl« dieHaare zu schneiden. Selbstverständlich nicht zu seiner Verschönerung. Die Aspiranten konnten zum Beispiel wählen zwischen dem Modell »Fifty-fifty« (die eine Hälfte des Kopfes wurde kahlrasiert, die andere blieb wie sie war) , »Karo« (es wurden einzelne »Haarfelder« herausgeschnitten) , »türkischer Halbmond« (das kahlgeschorene Haarareal hatte die Form eines Halbmondes) oder »afrikanische Wolke« (alles wurde kreuz und quer kurz geschnitten, sodass der Restschopf die Form einer Wolke bildete – ob Gewitterwolke, Cumulus oder Stratocumulus, blieb der Fantasie des Friseurs überlassen) . Eigentlich waren die Frisurnamen aber wurscht, hatte diese Tortur doch ohnehin nur ein Ziel – die komplette Verschandelung des Täuflings.
Für den Fall, dass der Täufling mit den angewendeten Maßnahmen nicht zufrieden war (und wie sollte er das sein) , gab es einen »Ablasshandel-Beauftragten« (wieder Stichwort » christliche Seefahrt«) , der sich durch hartnäckige Schwerhörigkeit auszeichnete. Schlug der Täufling vor, gegen zwei Kisten Bier den Haarschnitt ziviler ausfallen zu lassen, verstand der »Ablass-Beauftragte« sechs Kisten Bier und notierte das auf der »Rechnung« des Täuflings. Auf diese Weise kam zu Hitze, körperlichem Ekel und Verschandelung der äußeren Erscheinung auch noch die Befürchtung hinzu, die ganze Heuer zu verlieren. Am Ende kniete der Täufling vor Neptun – dargestellt von
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