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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Blaulicht entgegen, es ist kein Streifenwagen, also ist es die Kriminalpolizei. Und wer sagt denn, dass denen nicht schon jemand durchgegeben hat, sie sollten auf einen goldfarbenen Benz achten? Plötzlich kommt er sich auf der Stadtautobahn vor wie auf dem Präsentierteller.
    Er verlässt die Fahrtrichtung zur Messe, denn er hat sich an ein Parkhaus in der Nähe des Eschersheimer Tors erinnert – das liegt nahe genug an einer U-Bahn-Station, könnte aber auch von jemand benutzt werden, der in der Stadt bleiben will.
    »Sagen Sie mir bitte«, hört er plötzlich Zlatan fragen, »warum ich eigentlich mit Ihnen kommen soll?«
    »Weil Sie mir vertrauen müssen«, antwortet Berndorf. »Und zwar deshalb, weil Ihnen nichts anderes übrig bleibt. Wir sind zwar zwei sehr unterschiedliche Fliegen, aber das Schicksal hat uns in dieselbe Tinte getunkt.«
    »Fliegen?«
    »Übrigens war es nicht das Schicksal«, berichtigt sich Berndorf, »sondern Ihre Freundin Elfie hat das angestellt. Warum haben Sie nicht verhindert, dass sie die Tür öffnet?«
    »Ja, es ist mein Fehler«, gibt Zlatan zu. »Ich dachte – es ist eine Frau, das hab ich gedacht, und dann hat sie ausgerechnet von der Gasleitung gesprochen, das ist das, wovor Elfie am meisten Angst hat. Und dann gab es diesen Krach unten im Keller, und plötzlich war die Frau drinnen im Haus und hat mir die Pistole an den Hals gehalten … Aber sagen Sie – was haben Sie mit dem Mann da unten im Keller eigentlich gemacht?«
    »Es waren zwei«, antwortet Berndorf mürrisch, »und hoffentlich werden wenigstens sie es überleben. Ihnen ist klar, dass Ihre Elfie da einen Mafioso umgelegt hat, vermutlich sogar einen kleineren oder mittleren Capo, dem Auto nach zu schließen? Und wer jetzt alles hinter uns her ist?«
    Zlatan schweigt. Was sollte er auch sagen?
    E s ist, als hätte ein Tier geklagt. Aber es gibt kein Tier in der Wohnung. Der Bilch reibt sich die Augen, dann legt er die Hände auf den Küchentisch und stemmt sich hoch, geht zu Andrés Zimmer. Er legt den Kopf an die Tür, es ist nichts zu hören, er klopft leise und öffnet. Im Licht, das von der Küche hereinfällt, sieht er, dass Andrés Decke halb auf dem Boden liegt.
    Er geht zum Bett und deckt den Jungen wieder zu. »Du hast geschrien, weißt du das?«, fragt er halblaut. Aber von André kommt nur ein unwilliges Murmeln, dann dreht er sich um.
    »Na, dann träum mal was Lustigeres«, sagt der Bilch und geht wieder hinaus an den Küchentisch, auf dem jetzt das Notebook liegt. Er stemmt die Hände in die Hüften und streckt sich – die Schultern, der ganze Rücken ist verspannt. Kein Wunder, denkt er, bei allem, was er am Hals hat. Und jetzt auch noch den Jungen da und der Stapel Briefe, von denen kein einziger nach etwas anderem als nach Ärger aussieht. Überhaupt die Elke! Das ist auch so eine Geschichte … Wie viele allein erziehende Mütter gibt es in Berlin? Und wie viele davon haben jede Woche mindestens einmal die Schnauze voll, aber so etwas von der Schnauze voll … und wie viele wiederum davon laufen am Ende einfach weg, soll sich doch sonst wer um ihre Brut kümmern! Das ist inzwischen Alltag in Berlin, so sehr Alltag, dass die Zeitungen überhaupt nur noch berichten, wenn es mindestens fünf oder sechs halbverhungerte halslose Ungeheuer sind, die aus einer verschissenen ungeheizten Wohnung geholt werden müssen … So ist das, und warum soll nun ausgerechnet er sich um so ein verlassenes Balg kümmern, auch noch im lustigsten Alter und diebisch wie ein ganzer Schwarm Elstern?
    Er schüttelt nur den Kopf, weil es keine Antwort gibt. Nie gibt es eine Antwort, im ganzen Leben nicht. Keine, mit der du etwas anfangen kannst. Er setzt sich und ruft wieder den Artikel auf, der in diesem Notebook abgespeichert ist, der Teufel weiß, warum, und muss noch einmal das Foto betrachten, das in den Text eingeblockt ist, das Foto eines trotz seiner weißen Haarmähne noch gar nicht so alten Kerls, sonnengebräunt, der lässig in seinem eleganten beigen Leinenanzug auf den Stufen eines römischen Amphitheaters in der Sonne hockt – ein Kerl, der immer die Sonnenseite erwischt und an dem nicht einmal der mächtige Zinken stört, weil es eben ein großer schlanker Typ ist, nicht mit einem solchen Ranzen geschlagen, den Leute wie er durchs Leben schleppen und ernähren müssen … Am meisten aber stören ihn die Augen dieses Menschen. Sie sind grün und tun dabei so, als seien sie ganz ohne Falsch und Berechnung. Dem

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