Schmiede Gottes
was wir gemeinsam haben. Heute abend habe ich Mary und Tony Lampedusa gebeten, für uns zu singen; und dann wird es im Besucherzentrum von Yosemite Village Tanz geben. Ich hoffe, daß ihr kommen werdet.«
»Zunächst sind da noch einige Ansagen. Wir legen in Ahwanee unsere Bücher und Videobänder und dergleichen zusammen, um eine Art Bibliothek zu bilden. Jeder, der dazu beitragen möchte, ist willkommen. Der Parkservice hat eine Menge Bücher über Yosemite und die Sierras beigesteuert. Ich bin sozusagen die Bibliothekarin. Also redet mit mir, wenn ihr etwas lesen oder stiften wollt.«
»Ach ja, wir richten auch eine Musikbibliothek ein. Wir haben fünf tragbare optische Plattenspieler, die sonst für aufgezeichnete Touren durch den Park dienen, und ungefähr dreihundert Musik-Discs. Und nun sind hier Tony und Mary Lampedusa.«
Edward saß mit der halbvollen Bierdose zwischen den Knien da und hörte dem hohen, lieblichen Folkgesang zu. Minelli schüttelte den Kopf und ging weg, ehe sie fertig waren. »Wir treffen uns beim Tanz«, flüsterte er Edward im Vorbeigehen zu.
Der Tanz begann langsam auf der offenen Holzplattform des Besucherzentrums. Die kräftige Stereoanlage eines Rangers lieferte die Musik, zumeist Rockmelodien aus den Achtzigern.
Ungefähr die Hälfte der Leute im Park waren Singles. Einige, die es nicht waren, taten so, als ob sie es wären; und unter Paaren kam es gelegentlich zu Streit. Edward hörte, wie ein Mann zu seiner Frau sagte: »Gott, du weißt, daß ich dich liebe; aber wird durch dies hier nicht alles anders? Sollten wir hier nicht alle beisammen sein?« Die Frau schüttelte in Tränen den Kopf.
Minelli hatte kein Glück mit der Partnersuche. Seine Erscheinung – kleinwüchsig, fast ungekämmt, mit einem etwas übertriebenem Grinsen – war für die passenden, gepflegten einzelnen Frauen nicht attraktiv. Er warf Edward über den Freiluftpavillon einen Blick zu und zuckte ausdrucksvoll die Achseln. Dann zeigte er auf ihn und hielt eine Hand hoch mit dem Daumen nach oben. Edward schüttelte den Kopf.
Jedermann war an diesem Abend am Rande der Verzweiflung, was auch zu erwarten war. Edward stand beiseite. Er hatte keine Lust, sich gerade jetzt an eine Frau heranzumachen. Er wollte nur zuschauen und sich ein Urteil bilden.
Der Tanz ging früh zu Ende. »Kein toller Tanz«, bemerkte Minelli, als sie im Dunkeln nach Camp Curry zurückkehrten. Sie trennten sich bei den Duschräumen, um zu ihren Zeltunterkünften zu gehen.
Edward war aber noch nicht zum Schlafen aufgelegt. Mit der Taschenlampe in der Hand ging er auf einem Pfad nach Westen und kam zu den Happy Isles. Dort blieb er auf einer hölzernen Brücke stehen und lauschte dem Merced-Fluß. In der Entfernung konnte er hören, wie die Vernal- und Nevadafälle mit dem Schmelzwasser dröhnten. Der Fluß hatte Hochwasser, schwarz in der Tiefe und dunkelblau in den Strudeln.
Er schaute zu den Sternen auf. Durch die Bäume, eben oberhalb Half Dome, flimmerte der Himmel wieder mit kleinen, starken Leuchterscheinungen in blaugrün und rot. Fasziniert beobachtete er das einige Minuten lang und dachte: »Da oben ist noch einiges los. Sieht aus wie ein Kampf.« Er suchte sich vorzustellen, was für eine Art Krieg im Weltraum ausgefochten werden mochte, in den Asteroiden, konnte es aber nicht. Er sagte: »Ich wollte, ich könnte es verstehen. Ich möchte, daß mir irgend jemand sagt, um was es da überhaupt geht.«
Plötzlich schmerzte sein Körper. Er biß die Zähne zusammen und hieb mit der Faust auf das hölzerne Geländer mit stummem Schrei. Er trat gegen einen Pfosten, bis er auf dem Holzbelag zusammenbrach und seinen schmerzenden Fuß umklammerte. Eine Viertelstunde lang weinte er, den Rücken gegen das Geländer gestemmt, wie ein Kind. Er ballte die Hände zur Faust und öffnete sie wieder.
Eine halbe Stunde später, als er langsam beim Licht der Taschenlampe zum Lager zurückkehrte, wurde ihm klar, was er zu verlieren hatte.
Er stieg die Stufen zu seiner Hütte empor und brach auf dem Bett zusammen, ohne sich auszuziehen. Morgen abend würde er nicht zögern, eine Frau zum Tanz zu bitten, oder mit ihm zurückzugehen und bei ihm zu bleiben. Er würde nicht schüchtern sein oder auf Prinzipien oder seiner Würde beharren.
Es gab einfach keine Zeit mehr für solche Skrupel.
Er verstand nicht, was geschah, konnte aber das Ende kommen fühlen.
Wie jedermann fühlte er es in seinen Gebeinen.
58
Reuben erwachte um fünf
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