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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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tun, das glaubte er nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu wissen. Aber im selben Augenblick kamen ihm schon wieder Zweifel. Was, wenn Nadja von Bredow log? Hatten die beiden vielleicht gemeinsam die potentielle Gefahr aus dem Weg geschafft? Oder log Claudius Terlinden? Die Gedanken wirbelten in Bodensteins Kopf herum, und plötzlich erfüllte ihn die niederschmetternde Gewissheit, irgendetwas extrem Wichtiges übersehen zu haben. Er begegnete dem Blick von Nicola Engel, die ihn fragend ansah. Was zum Teufel hatte er gerade sagen wollen? Als habe sie seine Unsicherheit gespürt, ergriff die Kriminalrätin das Wort.
    »Sie lügen, Herr Lauterbach«, sagte sie kühl. »Warum? Wie kommen Sie darauf, dass ausgerechnet Nadja von Bredow auf dem Parkplatz gewesen sein soll?«
    »Ich sage ohne meinen Anwalt jetzt gar nichts mehr.« Lauterbach war mit den Nerven am Ende, wurde abwechselnd rot und blass.
    »Das ist Ihr gutes Recht.« Dr. Nicola Engel nickte. »Bestellen Sie ihn nach Hofheim. Wir nehmen Sie nämlich jetzt mit.«
    »Sie können mich nicht einfach verhaften«, protestierte Lauterbach. »Ich habe Immunität.«
    Bodensteins Handy klingelte. Es war Kathrin Fachinger. Sie klang, als ob sie kurz vor einem hysterischen Anfall stünde.
    »… weiß nicht, was ich machen soll! Der hatte plötzlich eine Waffe in der Hand und hat sich in den Kopf geschossen! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Hier drehen alle durch!«
    »Kathrin, bleiben Sie ganz ruhig!« Bodenstein wandte sich ab, während Nicola Engel Lauterbach den Haftbefehl präsentierte. »Wo sind Sie jetzt?«
    Im Hintergrund hörte er Geschrei und Tumult.
    »Wir wollten Jörg Richter festnehmen.« Kathrin Fachingers Stimme bebte. Sie war vollkommen überfordert mit der Situation, die offenbar eskalierte. »Sind zu seinen Eltern gefahren, haben ihm den Haftbefehl gezeigt. Und auf einmal geht der Vater zu einer Schublade, nimmt eine Pistole raus, hält sie sich an den Kopf und drückt ab! Und jetzt hat die Mutter die Pistole in der Hand und will uns daran hindern, ihren Sohn mitzunehmen! Was soll ich denn jetzt tun?«
    Die Panik in der Stimme seiner jüngsten Kollegin riss Bodenstein aus seiner eigenen Verwirrung. Plötzlich funktionierte sein Gehirn wieder.
    »Sie tun jetzt gar nichts, Kathrin«, sagte er. »Ich bin in ein paar Minuten da.«
    Die Hauptstraße in Altenhain war gesperrt. Vor dem Laden der Richters standen zwei Notarztwagen mit blinkenden Lichtern, mehrere Streifenwagen standen quer. Schaulustige drängten sich hinter den Absperrbändern. Bodenstein fand Kathrin Fachinger im Hof. Sie saß auf einer Treppenstufe, die zur Haustür hinter dem Laden führte, schneeweiß im Gesicht und unfähig, sich zu rühren. Er legte ihr kurz die Hand auf die Schulter und vergewisserte sich, dass sie unverletzt war. Im Innern des Hauses herrschte heilloses Chaos. Notarzt und Sanitäter versorgten Lutz Richter, der in einer Blutlache auf dem Fliesenboden der Diele lag, ein anderer Arzt kümmerte sich um seine Frau.
    »Was ist passiert?«, erkundigte Bodenstein sich. »Wo ist die Waffe?«
    »Hier.« Ein Streifenbeamter reichte ihm einen Plastikbeutel. »Eine Schreckschusspistole. Der Mann lebt noch, die Frau hat einen Schock.«
    »Wo ist Jörg Richter?«
    »Auf dem Weg nach Hofheim.«
    Bodenstein blickte sich um. Durch das Ornamentglas einer geschlossenen Tür sah er verschwommen das Orange und Weiß von Sanitäteruniformen. Er öffnete die Tür und erstarrte beim Anblick des Wohnzimmers für einen Moment. Der Raum war bis unter die Decke vollgestopft, an den Wänden hingen Jagdtrophäen und allerhand Militaria – Säbel, historische Gewehre, Helme und Waffen –, auf der Anrichte, im offenen Schrank, auf dem Couchtisch, mehreren Beistelltischchen und auf dem Boden stapelten sich Zinngeschirr, Apfelweinbembel und so viel Ramsch, dass es ihm kurz den Atem verschlug. In einem der Plüschsessel saß mit erstarrter Miene Margot Richter, einen Tropf in der Armvene. Neben ihr stand eine Sanitäterin und hielt den Infusionsbeutel.
    »Ist sie ansprechbar?«, wollte Bodenstein wissen. Der Notarzt nickte.
    »Frau Richter.« Bodenstein ging vor der Frau in die Hocke, was angesichts des herumstehenden Krempels nicht ganz einfach war. »Was ist hier passiert? Warum hat Ihr Mann das getan?«
    »Sie dürfen meinen Jungen nicht verhaften«, murmelte Frau Richter. Alle Energie und Bosheit schienen ihren mageren Körper verlassen zu haben, ihre Augen lagen tief in den Höhlen.

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