Schnupperküsse: Roman (German Edition)
bemerkte mich und tippte zum Gruß an seine Mütze. Sehr höflich.« Mum hält inne. »Komm schon, Jennie. Bist du nicht neugierig, wie er aussieht?«
»Nicht wirklich«, lautet meine einsilbige Antwort, denn ich weiß, es gibt für Mum nichts Schöneres, als ein bisschen zu tratschen. »Na gut. Erzähl schon!«
»Er ist ziemlich groß, ich schätze über eins achtzig.«
»Das war’s schon?«
»Nein, ich denke er ist in seinen Dreißigern, auf keinen Fall älter. Ein ziemlicher Adonis, wenn du mich fragst.«
»Du meinst, er sieht heiß aus. So nennt man das heute«, erkläre ich ihr und amüsiere mich über Mums Ausdrucksweise.
»Na gut. Er sieht heiß aus, und ich glaube, er lebt allein auf diesem Hof.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Hast du vielleicht sonst noch jemanden von dort kommen oder gehen sehen?«, fragt sie mich herausfordernd.
Den Mund voll mit Speck und Ei schüttle ich den Kopf.
»Außerdem habe ich heute Morgen zufällig mitbekommen, wie er seine Wäsche aufhing.«
»Mum, spionierst du dem Mann etwa nach?«
»Man kann vom Zimmer der Mädchen aus über die Mauer in seinen Garten sehen. Ich habe ihm nicht nachspioniert. Ich habe ihn nur zufällig beobachtet … und da fiel mir auf, dass es nur Männerkleidung war.«
»Na und? Er ist eben ein Mann von heute und kümmert sich selbst um seine Wäsche.« Ich muss lächeln. »Mum, ich weiß, was du gerade versuchst, doch daraus wird nichts. Ob Bauer oder Landarbeiter, ich bin nicht interessiert.«
»Ich will damit ja auch nicht sagen, du sollst zu ihm hingehen und ihn anmachen«, sagt sie und sieht verletzt aus. »Ich finde nur, du solltest dich nicht verschließen. Ich möchte, dass du glücklich bist, Jennie.«
»Aber das bin ich. Komischerweise kann ich auch ohne einen Mann in meinem Leben glücklich sein.«
»Ja, aber du bist noch jung, schön und lebendig.« Mum seufzt. »Die Vorstellung, dass du hier am Ende der Welt ganz allein lebst, gefällt mir nicht.«
Von oben ist ein dumpfer Schlag zu hören. Adam?
»Allein? Davon kann ja wohl kaum die Rede sein«, lautet mein Kommentar, und ich verdrehe die Augen.
»Aber wenn die Kinder aus dem Haus sind …«
»Das dauert noch Jahre.«
»Die Zeit geht schneller vorbei, als du denkst«, sagt sie wehmütig. »Bald werden sie ihre eigenen Wege gehen.«
Es stimmt, die Zeit vergeht, doch heilt sie nicht unbedingt die Wunden, sinniere ich und putze dabei zusammen mit Mum die Küche. Wir scheuern den Dreck von den Wänden, der sich über Jahre hinweg angesammelt hat. Warum will Mum nicht einsehen, dass das Thema Männer für mich wirklich erledigt ist? Ich wische die Fensterbänke und Einbauschränke gegenüber vom Herd ab und beginne, mein Backzubehör und meine Koch- und Backbücher auszupacken.
Als ich mein Lieblingsrezeptbuch aus der Kiste nehme, fällt es mir herunter und schlägt auf einer besonderen Seite auf – einer häufig benutzten mit Fettflecken darauf. Ich weiß nicht, was in mir das Gefühl hervorrief, das Backen von Löffelbiskuits hätte etwas Unanständiges an sich – ob es das Schlagen der Eiweiße mit dem Zucker zu einer steifen, spitzen Masse war, das sinnliche Vergnügen, den Teig mit Hilfe eines Spritzbeutels zu Plätzchen zu formen oder die fertigen, immer noch fluffigen Plätzchen aus dem Ofen zu nehmen –, bis ich sie dann das letzte Mal machte, als besondere Freude gedacht für David.
Der Frühling hatte gerade begonnen, doch war es ein besonders kalter Tag, an dem der Heizungskessel in unserem alten Haus Ärger machte, weshalb ich den ganzen Tag backte, um nicht zu frieren. Unter anderem einen Simnel Cake, einen mit Marzipan überzogenen Früchtekuchen, den ich meiner Mutter gerne zum Muttertag schenke und der mir einen Grund lieferte, meinen Küchen-Bunsenbrenner einzusetzen, da ich den Marzipanüberzug anbräune. Danach backte ich noch einen Geburtstagskuchen für die Tochter einer Freundin – einen einfachen Biskuitkuchen mit einer Schicht Buttercreme und Marmelade dazwischen –, den ich mit weißer Kuchenglasur überzog und mit rosa Schleifen und funkelnden Ballettschuhen verzierte. Er sah wirklich bezaubernd aus.
Während ich auf Adam wartete, dass er aus der Schule kam, schob ich die Löffelbiskuits auf ein Kuchengitter, um sie abkühlen zu lassen, und schaute aus dem Küchenfenster hinaus in den Garten, wo die beiden Mädchen unter einem bewölkten Himmel Trampolin sprangen. Der Rasen, aus dem an einigen Stellen leicht ramponiert aussehende
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