Schöne Zeit der jungen Liebe
Neuerdings.«
»Ja, ich habe eine Lesebrille, aber ich brauche sie nicht unbedingt.«
»Aber ich. Ich möchte dich mit Brille malen.«
»Nein.«
Er schwieg. Und dann begann er plötzlich zu malen. Er starrte angespannt auf die Leinwand und blickte dann minutenlang May an, so als sähe er in sie hinein, durch sie hindurch. »Jetzt weiß ich wenigstens, wie einem Käfer unter dem Mikroskop zumute ist«, sagte sie.
»Mit deiner Brille hättest du besser ausgesehen und ebenso schön.«
Plötzlich stand er neben ihr. Sie sah ihn erschreckt an. Er war zweifellos gereizt heute. Er packte ihre rechte Schulter und zog sie herum. »So, und jetzt die Hand in den Schoß. So - ja. Sieh da hinüber zum Haus.« Er starrte ihr ins Gesicht. »Um Himmels willen mach nicht so ein düsteres Gesicht. Du hast doch wohl nicht etwa Angst vor mir?«
»Entschuldige«, sagte sie. »Du hast mich erschreckt.« Sie hatte Herzklopfen.
Er trat wieder an die Staffelei, wo er halb gebückt stehenblieb und sie kritisch anstarrte, bevor er den Pinsel wieder ansetzte.
Jocelyn kam über den Rasen. »May, Madame Teresa ist am Telefon, sie möchte den Frisiertermin umlegen.«
»O Gott. Auf wann denn?«
»Hat sie nicht gesagt. Ich glaube, du mußt selber mit ihr sprechen.«
May erhob sich halb und blickte etwas ängstlich zu Charles hinüber, der ihr zornig zurief: »Himmel, bleib doch bloß sitzen! Beim Zahnarzt würdest du doch auch nicht einfach wegrennen. Was soll
May war aufgestanden. »Ich komme, Jocelyn.« Und zu Charles: »Wenn du weiter in diesem Ton mit mir redest, sitze ich dir nicht mehr. So, und jetzt sieh dir die Zeitschrift an, bis ich zurück bin. Es steht allerhand Interessantes drin, auch für dich.«
Als sie zurückkam, setzte sie sich ruhig hin und sagte: »Tut mir leid, Charles.«
Er brummte und nahm die Arbeit wieder auf. Alles blieb still, bis plötzlich aus dem Obstgarten laute Wut- und Schmerzensschreie ertönten.
»Entschuldige, Charles«, sagte May und lief hinüber. Schon von weitem sah sie, daß John Pentecost, der im Liegestuhl saß, wie wild um sich schlug. »Was ist denn los, Schwiegervater?«
Aus seiner von Wut- und Schmerzensschreien unterbrochenen Antwort ging hervor, daß er am Handgelenk gestochen worden war.
»Biene oder Wespe?« fragte May. Wie war das doch noch - Essig bei Bienenstichen und Salz bei Wespen? Oder umgekehrt?
»Woher soll ich das wissen, zum Satan?«
»Ich dachte, du hättest gesehen, was dich gestochen hat. Hast du geschlafen?«
»Natürlich nicht!« John Pentecost gab nie zu, daß er mittags schlief, und äußerte sich ziemlich unverblümt über Leute, die diese >senile< Angewohnheit hatten.
May besah sich das Handgelenk. Dann führte sie ihn ins Haus, rieb die Stelle mit Salbe ein, brachte ihm ein Glas Brandy und fragte, ob er zu Bett gehen wolle und ob sie den Arzt rufen sollte. Es war ein erprobtes
Verfahren, das noch nie versagt hatte. Der alte Herr erklärte energisch, er sei weder fünf noch fünfundneunzig, und für ihn sei ein Wespenstich eine Bagatelle. Worauf er ohne Stütze in den Garten zurückschritt.
»Schon fertig?« fragte Charles sarkastisch.
»Ja, danke, Charles«, erwiderte May mit freundlichem Lächeln und setzte sich wieder wie zuvor.
Es war wunderbar, hier draußen zu sitzen und die Sonne im Gesicht zu fühlen. Nichts war zu hören außer dem Summen der Bienen und dem Gesang der Lerchen. Sie saß still da und genoß das Nichtstun. Nichts tun, nichts denken, nur dasein. Nur sein, dachte sie plötzlich zufrieden, sie selbst sein, May Pentecost, die manche Leute für schön hielten. Ihr Kopf sank ein wenig auf die Brust.
Eine kalte Stimme ertönte: »Ich habe nicht vor, Dornröschen zu malen!«
Ihr Kopf fuhr hoch. »Entschuldige, Charles, es tut mir leid.« Sie richtete den Blick wieder auf das Haus und nahm sich zusammen - sie durfte nicht noch einmal einschlafen. Und jetzt sah sie etwas, das tatsächlich jeden Gedanken an Schlaf vertrieb. Aus einem der Schlafzimmer ringelte sich eine weiße Schlange, die langsam die Hauswand hinunterkroch. May starrte verblüfft hinüber. Amandas Zimmer. Also war alles möglich.
Die »Schlange« bestand aus zusammengeknoteten Bettlaken. War irgendwo Feuer ausgebrochen? May sprang auf. Oben am Fenster erschien jetzt Amandas Gesicht. »Was machst du da?« schrie May hinauf.
Keine Antwort. Amandas Kopf war verschwunden, jetzt erschien ihr linkes Bein auf der Fensterbank. Das war zuviel. May stürzte los.
Aber auch für
Weitere Kostenlose Bücher