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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Wissenschaftsleuchten in Paris erhielten Einladungen, und Mundpropaganda verbreitete die Information weiter. Infolgedessen war der mittelgroße Hörsaal, in dem ich sprach, bis auf den letzten Platz besetzt. Der Vortrag selbst war ziemlich allgemein gehalten – eine Zusammenfassung der Gegenstände, über die ich gearbeitet hatte. Die anschließende Diskussion dagegen warf weitgespannte, vielfältige und sehr präzise Fragen auf. Ich ging kurz, aber fachspezifisch auf jede ein. In gewisser Hinsicht lieferte ich ein Dutzend fünfminütige fachliche Präsentationen ab. Im weiteren Verlauf des Treffens verwandelte sich meine Heimkehr spürbar in meine Vorstellung in den höchsten Kreisen von Paris – ein seltenes Ereignis von großer Bedeutung. Im Hof ging die Debatte weiter, und ein Freund meinte, er habe noch nie einen streng wissenschaftlichen Vortrag erlebt, der zugleich so unverhohlen autobiografisch gewesen sei.
    Wenige Tage darauf erschien im Le Figaro ein großer Artikel eines Teilnehmers – es war Pierre Massé (1898–1987), dem man mich vorgestellt hatte. Unter Charles de Gaulle war er gefeierter Planungsbeauftragter gewesen. Davor hatte er das staatliche Elektrizitätsgremium geleitet, nachdem er als einer von vielen brillanten Ingenieuren dazu beigetragen hatte, an jedem geeigneten Fluss Frankreichs Wasserkraftwerke zu errichten. Möglicherweise hat seine Rückendeckung eine Episode beschleunigt, zu der ich jetzt komme.

Ich bewerbe mich nicht für das Collège de France
    Ich musste mir die Frage stellen, ob eine Rückkehr nach Paris wünschenswert oder durchführbar wäre. Allmählich wurde dann klar, dass dem nicht so war.
    Diese Entscheidung wurde eines Tages durch den völlig unerwarteten Anruf von André Lichnerowicz auf die Probe gestellt. »Ihre Vorträge am Collège de France haben einen anhaltenden und sehr guten Eindruck hinterlassen. François Perroux ist mittlerweile emeritiert, sein Lehrstuhl frei. Es gibt Kandidaten in Fülle, aber keiner macht viel Eindruck. Einige von uns würden Sie bevorzugen. Wenn Sie starkes Interesse zeigen, wird man Sie wählen.« Ein hohes Lob und eine glaubwürdige Garantie. Wie ich von Szolem wusste, rief ein auffallendes Profil außerhalb des eigenen Fachgebiets bei Wahlen zum Collège sowohl unerwartete Gegner als auch Unterstützer auf den Plan. Ich konnte nur zwei nennenswerte Leistungen vorweisen, die beide sehr fachspezifisch und unentwickelt waren – nur ein Bruchteil meines aktuellen Gesamtwerks. Dennoch war es erfreulich zu hören, dass das ausreichte, um Unterstützung zu erlangen, und mir eine einzigartige, glänzende Gelegenheit eröffnete, auf die denkbar beste Art zurückzukommen.
    Ich hatte einen langen Weg zurückgelegt. Die Hoffnungen, zu denen ich aufgrund jener alten Examina 1944/45 Anlass gegeben hatte, waren in Paris nie in Vergessenheit geraten, und jetzt wurde eine Gelegenheit geboten, sie zu erfüllen.
    Lichnerowicz fuhr fort: »Ich muss Sie jedoch warnen: Das Collège ist wie eine spanische Herberge, wo Sie Bett und Essen selbst mitbringen müssen. Es könnte hilfreich sein, eine Gruppe zu gründen, doch das kostet viel Zeit und Mühe. Bitte überlegen Sie sich das und rufen Sie mich wieder an.«
    Wieder einmal kam ich mir vor wie Julius Cäsar, bevor er den Rubikon überschritt, um Rom zu erobern. Die institutionellen Mächte, die mich 1958 dazu gebracht hatten, Frankreich zu verlassen, saßen noch immer fest im Sattel und schienen unbesiegbar – auch wenn ich in eine weit stärkere Position zurückkehren würde, was möglicherweise ausreichen würde, diese Kräfte in Schach zu halten. Zudem hatte das Collège eine in der akademischen Welt ansonsten nicht vorhandene Gemeinsamkeit mit der Forschungsabteilung von IBM, die Lichnerowicz in meinem Fall jedoch sicher zu schätzen wusste. Ich würde zwar auf der Grundlage meiner Arbeit auf dem Sektor Finanzen gewählt werden, könnte aber unterrichten, was ich wollte. Das war mir wie auf den Leib geschneidert.
    Inzwischen ist mir klar, dass ich damals im Begriff war, durch einen großen Schritt aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream in die akademische Wirtschaftslehre und ihre Auswirkungen befördert zu werden: Es wäre um eine scharfe Auseinandersetzung mit der seit 1972 betriebenen Wiederbelebung einer Formel Louis Bacheliers durch Black-Scholes-Merton [6] gegangen. Hätte ich diese Gruppe von einem sicheren Ort aus wie diesem sowohl bekämpfen als auch aussitzen können?
    Leider

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