Schottische Ballade
Geschwind zog sie sich an, warf das Gewand über, das sie letzte Nacht beim Bankett getragen hatte, und hielt sich nicht damit auf, ihr Haar zu flechten. Sie stopfte die Schmuckstücke zurück in den Beutel und ging zur Tür.
Ein kleiner Mann erhob sich, der an der gegenüberliegenden Mauer zusammengekauert war. „Wohin geht Ihr?“
„Wer bist du?“
Er war nicht viel größer als sie selbst, ein verwitterter Mann mit wild blickenden schwarzen Augen, dessen Haut die Farbe einer Walnuss hatte. „Heckie Sutherland, zu Euren Diensten.“
„Ich habe eine Sache mit deinem Herrn zu besprechen.“ Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht wusste, wo sein Gemach war. „Wenn du so freundlich wärest, mich hinzuführen.“
„Nun ..." Heckie blickte den dunklen Korridor entlang. „Ich denke, Lion ist gerade mit Vorbereitungen beschäftigt, auszureiten, und er könnte wenig Zeit für Besucher haben.“
„Ausreiten? Wohin? Es ist kaum hell.“
„Dämmerung, ja, das ist die Zeit, wenn der Suchtrupp ausschwärmen soll.“
„Um nach Colin zu suchen? Oh! S...sie können ihn doch nicht jagen ...“
„Es scheint, dass dies ihr Plan ist“, entgegnete Heckie.
„Lion geht mit ihnen?“
„Jeder muss gehen, ausgenommen einige, die Wache halten ..."
„Das wollen wir doch einmal sehen.“ Rowena wandte sich um und ging die Treppe hinab.
Heckie beeilte sich, sie einzuholen. „Versteht doch, Lion weiß, was er tut!“
„Das bezweifle ich. Ich bezweifle das aufrichtig. Er ist so besorgt damit, seine Stellung beim Earl zu schützen, dass sein Urteilsvermögen und seine Moral tief gesunken sind.“ Sie musste mit ihm sprechen und ihn umstimmen. „Er kennt doch die anderen Lairds. Wenn er sich dagegen ausgesprochen hätte, hätten sie auf ihn gehört, und ... und es gäbe keine Suchtrupps.“
„Mylady“, bat Heckie.
Rowena eilte unbeirrt weiter. Als sie die Biegung zum ersten Stock erreichte, hörte sie ein Gewirr von Stimmen, die das Treppenhaus erfüllten. Männer standen auf dem Korridor herum. Männer in Kettenhemden oder im Lederwams, einige bereits bewaffnet, andere gürteten eben ihr Schwert um. Alle begaben sich zum Haupttor. Sie wurde von ihnen mitgerissen, durch die schweren Türen hinaus und über die Holzstufen hinab in den Burghof.
Tumult empfing sie hier. Fackeln erhellten den Hof und warfen ihr gelbes Licht auf die bunten Tartans der einzelnen Clans. Männer erteilten schreiend Befehle. Pferde scharrten ungeduldig mit den Hufen, während Bedienstete umhereilten und Becher mit Ale und dunkles Brot darboten. Das Schauspiel bot eine Lebendigkeit, die sie aufgewühlt hätte, wenn sie nicht den Grund für den Ausritt so sehr gefürchtet hätte. Rowena stand auf den Zehenspitzen, blickte sich suchend im Hof um und entdeckte einen dunkelhaarigen Mann, der stolz die anderen überragte. Lion stand entfernt von der aufgeregten Menschenmenge und sprach bedächtig mit Bryce.
Sie zog an Lions Ärmel und schnappte nach Luft, als Lion sich ihr zuwandte, eine Hand auf das Heft seines Schwertes gelegt.
„Rowena! Was tust du hier?“
„Ich hoffe, dich davon abzubringen, diesen verruchten Ausritt mitzu...“
Er legte zwei Finger auf ihre Lippen. Er umfasste ihre Taille, hob sie vom Boden hoch und umarmte sie fest - ein wenig zu fest für eine Liebkosung. „Ssch. Willst du, dass man dich hängt?“ flüsterte er heiser.
„Nein“, sagte sie durch seine Finger. „Ich versuche bloß, den Burschen zu retten, der ..."
„Es wird ihm nichts geschehen.“
„Wie kannst du nur so etwas sagen, wenn dieses ... dieses Teufelspack sich darauf vorbereitet, jedes Gebüsch auszureißen, bis sie
„Du musst mir vertrauen, Rowena.“ Mit einem Kuss erstickte er ihre Erwiderung. Als er den Kopf hob, bereitete es ihr ein wenig Vergnügen, zu sehen, dass sein eigener Atem ebenso schnell ging wie der ihre. „Du hast meine Geschenke gefunden, die ich auf dem Kissen ließ.“
„Ja.“ Rowena schüttelte den kleinen Beutel und hielt ihn unter seine Nase. „Ich war gerade auf dem Weg zu dir, um sie zurückzugeben, als ich erfuhr ...“
„Warum zurückgeben?“
„Ich will nicht mit fremdländischem Tand gekauft werden.“
„Ich habe nicht versucht, das zu tun“, sagte er zärtlich. „Ich dachte indes, es sei nicht gerecht, wenn alle anderen Frauenzimmer hier mit Gold und Edelsteinen behangen sind und die Schönste unter ihnen ungeschmückt bleibt.“
Oh! Rowena begann zu schwanken. Wie freundlich. Wie romantisch.
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