Schreckensbleich
Verstand hattest, dich vom Acker zu machen. Die verlorene Ware macht sie nicht gerade glücklich, aber du bist keine Gefahr für sie. Ihrer Meinung nach sind wir ihnen was schuldig. So wie die es mir erklärt haben, haben sie in uns investiert, und sie wollen eine gute Rendite.«
Hunt hörte die Nachrichten im Nebenzimmer. Die Wettervorhersage warnte vor Regenschauern, die sich im Laufe der Woche in Schnee verwandeln könnten. Durch die Tür konnte er die Rückseite der Couch sehen, und Nora, die darauf saß. »Großer Gott, Eddie. Wann haben wir angefangen, für solche Typen zu arbeiten?«
»Ich sage dir nur, dass du dich schützen sollst.«
»Das war doch bloß ein Junge. Zweiundzwanzig Jahre alt.«
»Hör zu, Hunt, diese Typen haben gern alles unter Kontrolle. Wenn du da drin gesessen hättest, hätten sie dasselbe gemacht. Du hast Glück. Aber wir schulden denen trotzdem einiges an Arbeit.«
»Warum hauen wir nicht gleich ab? Was hindert uns daran?«
»Wie viele Hypotheken hast du auf dieses Haus aufgenommen? Hast du irgendwas auf dem Konto? Du hast mit diesen Geschäften angefangen, weil du versuchen wolltest, dir ein anständiges Leben aufzubauen, aber jetzt ist es mehr so, als ob du die Kohle dazu benutzt, das anständige Leben über Wasser zu halten. Wenn du abhauen willst, wirst du dich auf lange Sicht verstecken müssen, und dazu braucht man Geld. Weil du nämlich nicht zurückkommst.«
»Du würdest uns doch helfen, Eddie, oder?«
»Ich würde euch helfen, wenn ich könnte. Ich bin genauso blank wie du. Der Wagen da draußen und mein Boot sind so ziemlich alles, was ich vorzuweisen habe. Ich bin genau wie du.«
»Aber wir haben doch Kohle gemacht, oder nicht?«
»Haben wir, alles in bar, das Auto, das Boot. Das hier sollte unser großer Durchbruch sein, unsere Chance, richtig groß abzusahnen.«
»Das ist doch irre«, sagte Hunt. »Das ist einfach irre. Ich komme aus Monroe raus und kriege keinen Job, nicht mal zur Schule kann ich gehen. Ich schlage mich irgendwie gerade eben so durch und hoffe, dass meine Rennbahnwetten einigermaßen laufen. Also fange ich diese Geschichte hier mit dir an, um ein bisschen Geld zu verdienen, und die ganze Zeit – zwanzig Jahre …« Hier stockte Hunt, seine Stimme blieb irgendwo ganz tief in der Kehle hängen, wie ein zu schnell hinuntergeschlucktes Stück Fleisch. Jahr um Jahr um Jahr, er addierte immer weiter, zählte die Zeit im Kopf zusammen, zog die Summe daraus, sein Leben und worauf es sich belief. »Zwei Jahrzehnte«, sagte er. »So lange baue ich mir dieses Leben auf, und das hier kommt schließlich dabei raus.«
»Wir schulden diesen Leuten Kohle, Hunt. Ich weiß nicht, was ich dir sonst sagen soll. Wir können nichts anderes tun. Wenn wir diesen Job übernehmen, sind wir durch. Ganz einfach. Wir wussten doch beide, wie das laufen kann, als wir angefangen haben.«
»Macht dir das nicht zu schaffen? Was sie mit dem Jungen gemacht haben? Möchtest du da nicht abhauen?«
»Was willst du von mir hören?«
Hunt legte die Hände auf den Tisch. Er sah Eddie an. »Die haben uns am Arsch, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte Eddie. »Und das Abartige daran ist, die freuen sich darüber.«
***
Hunt schob den Gashebel des Bootes nach vorn, bis der Geschwindigkeitsmesser fünfzehn Knoten anzeigte. Zwanzig Jahre hatte er diese Tour gefahren, und jetzt konnte er es fast ohne nachzudenken. Es kam ihm seltsam vor, dass er all die Jahre geglaubt hatte, er sei unabhängig. Er hatte Eddie. Er hatte immer Eddie gehabt, aber sie waren eher Partner als irgendetwas anderes. Mit neunzehn war er ein Sträfling gewesen. Erst ein Jahr aus dem Kindesalter heraus, nur ein Jahr jenseits der Überwachung durch die Eltern und der Anleitung durch Lehrer und Trainer, Menschen, die ihm zu der einen oder anderen Zeit etwas bedeutet hatten. Bei diesem Gedanken lachte er ein bisschen, dachte daran, wie sie sich in der Schule alle als Gefangene betrachtet hatten. Doch das war überhaupt nicht wie im Knast oder in Gefangenschaft. In Monroe war er verschwunden. Hatte dagestanden und war einfach verschwunden, als wenn ein Magier einen Zaubertrick vorführt. Eben noch da, dann plötzlich weg.
Es hatte nicht gleich angefangen. Aber angefangen hatte es. Sein Anwalt war der Erste, der verschwand. Das konnte Hunt verstehen. So etwas konnte er verstehen, wenn ein Mann nicht kommt, weil er nicht mehr bezahlt wird. Das war logisch. Ein paar Freunde besuchten ihn. Sie hielten ihre Babyfotos
Weitere Kostenlose Bücher